New York - Love Story
Fall bin eindeutig ich es, die
Davids Unmut erregt.
Was soll ich jetzt bloß machen? Diese ganze Situation ist
völlig skurril. Ich hatte mir ein Horrorszenario ausgemalt,
das mich hinter der Kellertür erwarten würde. Aber ganz sicher
keine Obdachlosenspeisung. Schon komisch, dass ich
David eher zugetraut hätte, an einer Satansanbetung teilzunehmen,
als sich sozial zu engagieren. Andererseits erklärt
das Davids Verhalten bei unserer Begegnung mit dem Obdachlosen
im Central Park.
Von Sekunde zu Sekunde fühle ich mich unwohler. Davids
Blick liegt schwer auf mir, die Falte auf seiner Stirn hat sich
noch vertieft. Mittlerweile sind auch die Frauen und Männer
an den Tischen auf den uneingeladenen Gast aufmerksam
geworden. Einer nach dem anderen starrt mich an.
Meine Erscheinung wird mir unangenehm bewusst: Ich
trage ja noch immer das dunkelrote Abendkleid. Unpassender
könnte ich für diesen Ort kaum gekleidet sein.
Am liebsten würde ich mich auf der Stelle umdrehen und
durch die Eisentür wieder nach oben verschwinden. Aber
ich bin unfähig, mich zu bewegen. In diesem Moment winkt
David mich zu sich heran.
Die Obdachlosen haben sich längst wieder ihrer Suppe
und ihren leisen Gesprächen zugewandt, als ich mich an den
Tischen vorbei zu David schiebe.
»Was machst du hier?«, begrüßt er mich schroff. Er ist also
tatsächlich nicht gerade begeistert, mich zu sehen.
»Ich …« Ich stottere, mal wieder um eine Antwort verlegen.
Tja, was mache ich hier? Doch dann kehrt meine Wut
von vorhin zurück und kommt mir zu Hilfe. »Was ich hier
mache? Was machst du hier?«, fahre ich ihn an. »Besser gesagt:
Warum machst du es gerade jetzt? Immerhin waren wir
zusammen auf einem Ball. Und du lässt mich einfach stehen
und verschwindest ohne Erklärung, und das nicht zum ersten
Mal. Das ist nicht gerade die feine englische Art!«
Ich starre ihn an und er starrt zurück. Dann verschwindet
ganz plötzlich die Falte auf seiner Stirn, stattdessen verziehen
sich seine Mundwinkel zu seinem typisch ironischen Grinsen.
»Ich bin ja auch nicht Engländer, sondern Amerikaner.«
Ich verdrehe die Augen. »Das sagt man bei uns so.«
»Ich weiß.« David lacht. Zum Glück klingt es nicht überheblich,
sondern fröhlich.
»’xcuse me, miss.« Ein älterer Mann in einem zerfledderten
Lodenmantel und mit einer Baseballkappe auf dem Kopf
schiebt sich an mir vorbei und hält David seine Schüssel hin.
Auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es der Obdachlose
aus dem Park ist.
»Alles okay, Sam?«, fragt David, während er Suppe nachfüllt.
»Wie immer«, brummelt der Mann.
David reicht ihm ein Stück Brot zu der Suppe und Sam
schlurft zurück zu seinem Platz.
»Ich wollte dich nicht stehen lassen«, nimmt David unsere
Unterhaltung wieder auf. »Aber ich musste kurzfristig einspringen.
Zwei der anderen Helfer sind krank geworden.«
Ich nicke. So ganz begreife ich diese Sache immer noch
nicht. Wie kommt David dazu, sich für Obdachlose zu engagieren?
Als ich ihm meine Frage stelle, winkt er ab. »Das ist
eine längere Geschichte.«
»Ich habe Zeit«, erkläre ich und verschränke demonstrativ
die Arme.
»Ich aber nicht.« David deutet auf einen Mann und eine
Frau, die geduldig hinter mir warten. Ups, die zwei habe ich
gar nicht bemerkt. Schnell gehe ich einen Schritt zur Seite,
um den beiden Obdachlosen Platz zu machen. Ich fühle mich
noch immer ein bisschen unwohl in ihrer Nähe. Doch an den
Geruch habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Und außerdem
ist Davids Umgang mit diesen Menschen so selbstverständlich,
dass ich versuche, mich zusammenzureißen.
»Hör zu«, sagt David, nachdem er die beiden mit Suppe
versorgt hat. »Wo du schon mal da bist, könntest du mir eigentlich
ein bisschen helfen. Und wenn es nachher etwas
ruhiger geworden ist, erzähle ich dir gerne, warum ich hier
meine Freizeit verbringe.«
»Okay.« Ich nicke wieder. Der Deal klingt fair. Und so stehe
ich kurz darauf im roten Ballkleid hinter einem großen Topf
und schenke Suppe an New Yorker Obdachlose aus. Immer
neue kommen durch die schwere Eisentür, leeren ihren Teller,
meist auch einen zweiten, dann gehen sie wieder hinaus
in den späten Abend. Längst nicht alle sind alt und abgerissen.
Die Armut scheint viele Gesichter zu haben. Als mir eine
junge Frau, kaum älter als ich selbst, mit einem vielleicht
zweijährigen Kind auf dem Arm gegenübersteht, muss ich
schlucken. Wäre sie in ihrer schwarzen Lederjacke und mit
dem Rucksack auf dem Rücken auf
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