New York - Love Story
Handy in diesem Moment zu piepsen
beginnt. Er zieht es aus seiner Hosentasche und liest eine
SMS. An seiner Nasenwurzel bildet sich eine Falte.
»Sorry, ich muss leider los«, sagt er zu mir, und schon dreht
er sich so schwungvoll um, dass die Frackschöße flattern, hebt
die Hand zum Abschied und steuert auf den Ausgang zu.
Was? Wo will er denn jetzt hin? Der Ball hat doch gerade
erst angefangen. Will er mich hier etwa alleinlassen? Ja, sieht
so aus! Diese Situation erinnert mich fatal an unsere verunglückte
Stadtführung. Ist das so eine Art Masche, mich ständig
irgendwo allein stehen zu lassen?
Meine Unsicherheit, meine Panik, meine Freude und all
die anderen verwirrenden Gefühle, die ich in der letzten
Stunde durchgemacht habe, sind allesamt wie weggeblasen.
Zurück bleibt nur ein einziges: Ich bin stinksauer! Was bildet
der Kerl sich eigentlich ein? In der einen Sekunde ist er
supernett und in der nächsten lässt er mich links liegen! Als
wäre ich tatsächlich eine Marionette, an deren Fäden man
zieht, wenn sonst gerade nichts zu tun ist, und die man in
die Ecke hängt, wenn man etwas Besseres vorhat.
So nicht!
,
denke ich. Und bevor ich mir gründlich überlegt habe, was
ich da eigentlich tue, laufe ich hinter David her.
Shit!
Diese Schuhe sind nicht dafür gemacht, jemanden zu
verfolgen. Schon nach wenigen Metern bleibe ich mit einem
Absatz in der Schleppe meines Kleides hängen. Der Schuh
rutscht mir vom Fuß, ich strauchele und hätte mich beinahe
vor allen Gästen hingelegt, kralle mich aber im letzten Moment
an einem Stehtisch fest.
Wie Aschenputtel,
schießt es
mir durch den Kopf.
Nur nicht so elegant.
Und außerdem ist
es in meinem Fall der Prinz, der vom Ball abhaut.
Als ich auf die Straße stolpere, sehe ich gerade noch, wie
David ein Taxi heranwinkt. Ich habe Glück: Auch ich kann
ein gelbes Gefährt stoppen.
»Folgen Sie dem Taxi!«, rufe ich dem Fahrer schon beim
Einsteigen zu – und komme mir einmal mehr vor wie in
einem schlechten Gangsterfilm. Einen New Yorker Taxifahrer
kann jedoch nichts erschüttern. Er reiht sich in den Verkehr
ein und macht sich tatsächlich an die Verfolgung seines Kollegen.
Nach etwa fünfzehn Minuten Fahrt gelangen wir in eine
Gegend, die mir bekannt vorkommt. Schmale Backsteinhäuser,
schwarze Feuerleitern, dreckige Bordsteine. Hier ist
David bereits nach unserer unfreiwilligen Sightseeing-Tour
ausgestiegen. Sein Taxi hält vor derselben Kirche.
»Stopp!« Mein Fahrer reagiert sofort. In sicherer Entfernung
zu unserem Zielobjekt fährt er seinen Wagen an den
Straßenrand. Zu meiner Überraschung steuert David gar
nicht auf das Kirchenportal zu, sondern verschwindet plötzlich
über eine Kellertreppe nach unten. Was zum Teufel geht
da vor?, frage ich mich. Erst als David in dem Kellereingang
abgetaucht ist, traue ich mich, für die Fahrt zu bezahlen und
aus dem Taxi zu steigen.
Langsam nähere ich mich der kleinen Kirche. Was treibt
David hier bloß? Mehrere Male gehe ich vor der Kellertreppe
auf und ab. Was, wenn hier eine satanische Messe abgehalten
wird? Wenn ich mitten hineingerate, opfern mich die Teufelsjünger
noch auf ihrem Altar!
Niki, ermahne ich mich. Hör auf zu spinnen! Wenn du jetzt
nicht hineingehst, wirst du es nie erfahren!
Ich atme tief durch und steige die Stufen hinunter.
Ein süßlicher Geruch strömt mir entgegen, als ich die
schwere Eisentür aufschiebe. Ich zögere. Was ist das? Weihrauch?
Räucherkerzen? Nein, es riecht nach – Erbsensuppe!
Ich stoße die Tür auf und stehe unvermittelt in einem
niedrigen Raum, in den drei lange Tische gequetscht sind.
An zweien davon sitzen vielleicht zwanzig Gestalten über
Plastikschüsseln gebeugt, aus denen sie ihre Suppe löffeln.
Sie sehen fast alle zerlumpt und dreckig aus. Und sie verströmen
auch nicht gerade einen angenehmen Duft. Trotz der
Sommerhitze haben sie sich in Mäntel und Jacken gewickelt.
Neben ihnen stehen Plastiktaschen und Rollwagen mit ihren
Habseligkeiten. Obdachlose!
An dem dritten Tisch auf der anderen Seite des Raumes
steht David. Im blütenweißen, gestärkten Hemd – Frack und
Fliege hat er immerhin abgelegt – schöpft er dampfende
Suppe aus einem großen Topf. Als das Scheppern der zufallenden
Tür mein Eintreten verrät, sieht David hoch. Unsere
Augen begegnen sich und eine steile Falte gräbt sich in seine
Stirn. Diese Falte kenne ich inzwischen nur zu gut. So sieht
seine Stirn nur aus, wenn er mit etwas sehr unzufrieden ist.
Oder mit jemandem. In diesem
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