Newtons Schatten
Stiernacken, sodass der Kopf kaum vom Körper abgesetzt war und sein abnorm mächtiges Kinn, welches so groß war wie sein restliches Gesicht, schien ständig an die Brust gezogen. Seine Augen waren klein und katzenhaft und seine Stirn war so flach wie der riesige Hut, welcher die ohnehin schon blaurote Gesichtsfarbe, ganz offensichtlich die Folge übergroßer Liebe zum Wein, noch dunkler machte. Über der einen Augenbraue saß eine dicke Warze. Seine Kleidung war nic ht nur klerikal, sondern episkopal, denn er trug eine Soutane und ohne den langen rosafarbenen Schal und die Redeweise, welche besser zu einem Straßenhändler oder Southwarker Lastenträger gepasst hätte, ich hörte ihn mit dem Wirt reden, mit einer so lauten, dröhnenden Stimme, dass er sich ständig zu beschweren schien, hätte man ihn für einen gebildeten Mann halten können, vielleicht sogar für einen Advokaten, welcher im Auftrag eines Klienten hier war, da viele, die hier warteten, gar nicht angehört wurden.
Wir folgten dem seltsamen Doktor Davies zu seiner Wohnung auf der Nordseite des Axe Yard und holten uns ein paar Auskünfte von Mister Beale, dem Wirt des benachbarten Axe, einem Mann, dessen Familie schon seit vor dem Großen Feuer am Axe Yard wohnte. Er erzählte uns, Mister Davies sei Cambridge-Absolvent und Sohn eines anabaptistischen Feldgeistlichen in Cromwells Neuer Armee. Davies selbst sei Flottengeistlicher gewesen. Er habe ein Buch geschrieben und
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unlängst eine reiche Witwe geheiratet, welche derzeit bei Verwandten zu Besuch sei. Er beziehe eine Staatspension und sei baptistischer Geistlicher in Wapping.
Nachdem wir Mister Beale fünf Schillinge für seine Auskünfte und sein Schweigen gegeben hatten, begaben wir uns nach Wapping, um mehr herauszufinden.
Ich habe noch nie viel von jenen Sekten gehalten, welche wir Ranter nennen und schon gar nicht von den Baptisten, denn was sind das für Leute, die sich an die Lehre eines so verrückten Mannes halten, wie Johannes der Täufer einer war, wenn er in der Wüste lebte und Heuschrecken aß? In Wapping mussten sie jedenfalls auch ziemlich verrückt sein, denn nur Narren und Irre hätten freimütig bekannt, dass ihr Geistlicher in Wahrheit gar nicht Paul Davies hieß, sondern Titus Oates. Der Mann hinter der so genannten Papistenverschwörung, jenen frei erfundenen Anschuldigungen, dass Jesuitenpriester König Charles II.
ermorden wollten, um seinen katholischen Bruder, den Herzog von York, auf den Thron zu bringen.
Es war ein großer Schock für Mister Hall und mich, dass ein so übler Kerl wie Titus Oates frei herumlief, geschweige denn Gottes Wort verkündete und Mister Hall war darob so erschüttert, dass er sich gezwungen sah, in eine Kirche zu gehen und zu beten. Ehe Oates' niederträchtige Lügen als solche entlarvt worden
waren, hatten bereits fünfunddreißig
unschuldige Menschen im Namen des Gesetzes ihr Leben lassen müssen.
Der Herzog von York verklagte Oates 1648 wegen Verleumdung und bekam einhunderttausend Pfund Entschädigung zugesprochen. Oates, welcher die Summe nicht zahlen konnte, wurde ins Schuldgefängnis geworfen. Doch ihn erwartete noch Schlimmeres. Im folgenden Jahr bestieg der Herzog den Thron und Oates kam wegen Meineids vor Richter Jeffreys, welcher offen bedauerte, dass man ihn dafür nicht hängen konnte und am nächsten Tag wurde Oates mit
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Peitschenhieben von Newgate bis zum Tyburn getrieben - über eine Strecke von etwa zwei Meilen. Er wurde ferner dazu verurteilt, den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen und einmal im Jahr an den Pranger gestellt zu werden, was schon manch stärkeren Mann das Leben gekostet hatte. Und das war das Letzte, was ich von Titus Oates gehört hatte, bis zu jenem Freitagnachmittag im September.
Um herauszufinden, wie Oates freigekommen war, ging ich zu Mister Jonathan Taylor, einem Freund von mir, welcher Anwalt am Hauptzivilgerichtshof in Westminster Hall war und in dem Ruf stand, ein wahrer juristischer Almanach zu sein. Und er resümierte mir rasch den Fortgang der Sache Titus Oates' bis zu diesem Tage. Als William den Thron bestiegen habe, erklärte Taylor, sei Richter Jeffreys in den Tower gesperrt worden und Oates habe beim Parlament ein Gesuch eingereicht, das Urteil gegen ihn aufzuheben. Und es sagt viel über die wieder erstarkten antikatholischen Tendenzen im Land, dass Oates, trotz aller Beweise für seine Schuld am Tod so vieler unschuldiger Menschen, begnadigt und noch im
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