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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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bedeuten?» Newton legte die Kerzen in die Schublade zurück und sagte: «Sie spenden Licht.»
    «Ist das alles?»
    «Ist das alles?», wiederholte er mit einem aufreizend überlegenen Lächeln. «Erst durch das Licht wird uns alles sichtbar und verständlich. Wenn den Heiden nicht die Angst vor dem Dunkel geplagt hätte, dann hätte er sich nicht von falschen Göttern wie der Sonne und dem Mond blenden lassen und uns vielleicht gelehrt, unseren wahren Schöpfer und Wohltäter zu
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    verehren, so wie es seine Ahnen unter der Führung Noahs und seiner Söhne taten, ehe sie vom rechten Weg abkamen. Ich habe vieles auf mich genommen, um das Licht zu verstehen. Einmal habe ich beinahe das Sehvermögen meines einen Auges geopfert, um dem Licht experimentell auf die Spur zu kommen.
    Ich nahm eine abgestumpfte Haarnadel und schob sie zwischen Auge und Knochen so weit zur Rückseite des Augapfels hin, wie ich konnte. Und als ich mit dem Ende auf den Augapfel drückte, um es um die Rundung herumzumanövrieren, da sah ich weiße, dunkle und farbige Kreise. Die Kreise waren am deutlichsten, solange ich mit der Haarnadel über den Augapfel rieb, wenn ich aber Auge und Haarnadel still hielt, wohl aber immer noch auf den Augapfel drückte, wurden die Kreise schwächer und verschwanden oft ganz, bis ich sie wieder hervorrief, indem ich Auge oder Haarnadel bewegte.
    Licht ist alles, mein teurer Freund. ‹Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis.› Wie es auch wir immerdar tun müssen.»
    Mrs. Allen kam wieder herein, worüber ich froh war, da ich mir nicht gern Predigten halten ließ, nicht einmal von einem Mann wie Newton. Was war das für ein Mensch, der bereit war, um der Erkenntnis willen das eigene Augenlicht zu riskieren? Mrs.
    Allen brachte uns zwei Krüge Bier und wir tranken sie aus und gingen. Draußen sagte ich, da ich noch einmal über die Ereignisse dieses Morgens nachgedacht hatte, zu Newton, es könne doch vielleicht sein, dass die alchemistischen Zeichen, die er erkannt zu haben glaubte, eine Art Warnung an jene seien, welche die Adepten der geheimen Kunst und ihre hermetische Welt bedrohten. Darauf gab Newton eine höchst mysteriöse Antwort.
    «Mein lieber junger Freund, Alchemisten sind auf der Suche nach Wahrheit und alle Wahrheit kommt, wie Ihr gewiss zugeben werdet, von Gott. Daher kann ich nicht akzeptieren, dass jene, die diese Morde begangen haben, wahre Philosophen
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    sein sollen.»
    «Nun ja», sagte ich, «wenn keine wahren Philosophen, dann vielleicht falsche? Mir scheint, dass Doktor Love und Graf Gaetano solch verbrecherisches Tun jederzeit in Erwägung ziehen würden. Männer, die bereit sind, um ihrer eigenen Zwecke willen die Ideale der Alchemie zu verraten, würden doch vielleicht auch vor einem Mord nicht zurückschrecken. Hat Euch der Graf nicht ausdrücklich bedroht?»
    «Das war nur Großmäuligkeit», sagte Newton. «Außerdem war ich es, den er bedrohte, nicht der arme Mister Kennedy.»
    «Aber als wir sie vor meinem Haus getroffen haben», argumentierte ich beharrlich weiter, «war da nicht Mister Kennedy bei ihnen? Und haben sie nicht selbst zugegeben, dass sie gerade vom Löwenturm kamen? Die Indizien sprechen doch gegen sie, Herr. Vielleicht hatte Kennedy ja irgendwelche heimlichen Geschäfte mit Doktor Love und dem Grafen und daran war irgendetwas, was sie ihm übel genommen haben.»
    «Mag sein», räumte Newton ein, «dass da etwas dran ist.»
    «Wenn man sie aufforderte, Rechenschaft darüber abzulegen, wo sie gestern Abend waren, könnten sie sich vielleicht von jedem Verdacht reinwaschen.»
    «Ich glaube nicht, dass sie geneigt sind, mir irgendwelche Fragen zu beantworten», sagte Newton.
    Wir nahmen wieder die Brücke, wo ich etwas Brot und Käse kaufte, weil ich gewaltigen Hunger hatte. Newton aß nichts, weil er bei einem anderen Mitglied der Royal Society zum Mittagessen eingeladen war, was zu den wenigen Dingen gehörte, die er tat, um sich über die wissenschaftlichen Aktivitäten der Gesellschaft auf dem Laufenden zu halten, denn er weigerte sich, zu den Sitzungen zu gehen, solange Mister Hooke lebte.
    «Ihr kommt wohl besser mit», sagte Newton. «Also esst nicht zu viel. Mein Freund führt eine exzellente Tafel, der ich, wie ich
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    fürchte, nicht die gebührende Gerechtigkeit widerfahren lassen werde. Ihr werdet diese meine Mannesschwäche wettmachen.»
    «Geht es Euch um mich oder um meinen Appetit?»
    «Um

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