Newtons Schatten
bin der dümmste Mensch auf Gottes Erdboden», sagte ich.
«Denn ich muss gestehen, dass ich keine Hinweise bemerkt habe.»
«‹Hinweise› ist vielleicht ein starkes Wort für das, was wir im Löwenturm gefunden haben», sagte Newton geduldig. «Sprich
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den Stein im Mund des Toten, den roten Löwen und den Raben.
All diese Dinge besitzen eine Bedeutung, die nur ein versierter Spieler des goldenen Spiels zu erkennen vermag.»
«Wollt Ihr sagen, dass das Ganze etwas mit Alchemie zu tun hat?»
«Es spricht manches dafür.»
«Dann erklärt mir, was diese Dinge bedeuten.»
«Das würde zu lange dauern.» Newton ergriff den Stein, welcher auf dem Tisch gelegen hatte und drehte und wendete ihn in der Hand. «Diese Dinge sind eine Botschaft, so sicher, wie die Chiffre auf diesem Blatt hier eine ist und beides müssen wir verstehen, wenn wir diese Sache aufklären wollen. Die Bedeutung dieser alchemistischen Zeichen mag vielleicht rein allegorischer Art sein, aber bei der Chiffre bin ich mir sicher, dass sie den Schlüssel zu allem enthält. Wir haben es hier nicht mit gemeinen Falschmünzern zu tun, sondern mit gebildeten und findigen Menschen.»
«Und doch war es unvorsichtig von ihnen, diese Botschaft an Mister Kennedys Leib zurückzulassen», sagte ich. «Auch wenn es eine Chiffre ist. Denn Chiffren kann man knacken, oder nicht?»
Newton runzelte die Stirn und ich glaubte schon beinahe, etwas gesagt zu haben, was ihm nicht passte.
«Eure Art zu denken verwirrt mich wie immer», sagte er ruhig und spielte mit den Katzenohren. «Ihr habt Recht. Es könnte grobe Unvorsichtigkeit gewesen sein. Aber ich glaube eher, es war das Vertrauen, dass die Chiffre ihr Geheimnis nicht so leicht hergibt. Denn die Botschaft ist sehr kurz, sonst hätte ich vielleicht bereits das System erahnt. Aber durch beständiges Nachdenken wird es mir vielleicht doch noch gelingen, den Ödipus zu diesem Rätsel abzugeben.»
Draußen auf der Treppe waren jetzt schwere Schritte zu hören und Newton erklärte, es würde ihn höchlichst überraschen, wenn
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der Wächter, der da zurückkehre, Daniel Mercer mitbrächte.
Gleich darauf betrat der Wächter die Amtsstube und bestätigte, was mein Herr schon geahnt hatte: dass Daniel Mercer im ganze n Tower nirgends zu finden war.
«Mister Ellis», sagte Newton. «Was gilt es nun im nächsten Schritt zu tun?»
«Nun, Sir, in seiner Wohnung nachzusehen. Wo sich diese befindet, habe ich bereits anhand unserer Personalakten festgestellt, nachdem Scotch Robin und John Hunter diesen Mann als Komplizen genannt hatten. Mercer wohnt auf der anderen Seite der Themse, in Southwark.»
Wir verließen gegen fünf Uhr morgens den Tower und gingen zu Fuß über die London Bridge, obwohl es draußen nicht schön und noch immer sehr kalt war. Trotz der frühen Stunde fanden wir die Brücke bereits verstopft von Menschen und Tieren, welche zum Markt in Smithfield wollten, sodass uns nichts anderes blieb, als uns unter den Arkaden jener hohen, kunstvoll verzierten Häuser durchzuzwängen, welche dafür sorgen, dass die Brücke manchmal eher wie eine Reihe venezianischer Palazzi denn wie die einzige Fahrverbindung von der City über die Themse wirkt.
Am Südende der Brücke, auf dem Surrey-Ufer, nahmen wir den Weg am Fußgängersteg beim Bear Garden vorbei und anschließend um St. Mary Overies herum und fanden schließlich, zwischen einer Gerberei und einem Lederzurichter, Southwark beherbergte alle möglichen Lederhandwerker, das Haus, in welchem Daniel Mercer wohnte.
Mercers Hauswirtin, eine ausnehmend hübsche Frau, ließ uns herein und erklärte uns, sie habe Mister Mercer schon seit gestern nicht mehr gesehen und sei deswegen sehr beunruhigt.
Darauf tat mein Herr ebenfalls sehr besorgt. Er erklärte, wir seien eigens aus der Münzanstalt Seiner Majestät hergekommen, um nach dem Rechten zu sehen und bat dann inständig, einen
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Blick in Mercers Zimmer werfen zu dürfen, da wir dort vielleicht irgendeinen Hinweis auf seinen Verbleib finden würden und dann nicht mehr zu befürchten brauchten, dass ihm etwas zugestoßen sei. Mrs. Allen, wie die Frau hieß, führte uns augenblicklich in Mister Mercers Zimmer und da sie dabei Tränen in den Augen hatte, vermutete ich, dass sie und Mercer sich ziemlich nahe standen.
Ein Tisch mit einer grünen Filzdecke nahm die Mitte des Zimmers ein. Daneben stand ein Stuhl, auf welchem ein prächtiger Biberhut lag und in der Ecke befand sich ein unbequem
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