Newtons Schatten
Indizien, ja?», schnaubte Newton. «Und die Hände hat er sich wohl selbst gefesselt?»
«Bitte korrigiert mich, wenn ich mich irre, Sir, aber da sich Mister Kennedys einer Arm nicht mehr am Körper befand, beweist doch nichts, dass seine Hände überhaupt jemals gefesselt waren.»
«Und der Knebel? Und der Stein in seinem Mund?», insistierte Newton. «Erklärt mir das doch bitte.»
«Mancher Mann beißt auf ein Stück Holz, Sir, um das Chirurgenmesser zu ertragen. Ich habe Männer Musketenkugeln lutschen sehen, um den Speichelfluss anzuregen, wenn sie kein Trinkwasser hatten. Ja, ich habe sogar schon einmal einen Mann vor dem Erschießungskommando eigenhändig die Augenbinde anlegen sehen.»
«Die Tür zum Löwenturm war von außen abgeschlossen», sagte Newton.
«Das sagt Mister Wadsworth», antwortete Lord Lucas. «Aber bei allem Respekt, Sir, ich kenne ihn besser als Ihr. Er ist ein trunksüchtiger, konfuser Bursche, welcher ebenso leicht seinen eigenen Kopf vergessen würde wie die Stelle, wo er einen Schlüssel gelassen hat. Es ist nicht das erste Mal, dass er seine Pflichten vernachlässigt hat. Und Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass er entsprechend gemaßregelt wird.»
«Wollt Ihr andeuten, Mister Kennedy könnte Selbstmord begangen haben?», fragte Newton aufgebracht. «Und noch dazu auf so grausige Weise? Aber, Mylord, das ist doch absurd.»
«Selbstmord nicht, Sir», sagte Lord Lucas. «Aber jeder, der einmal Bedlam besucht hat, weiß doch, dass Menschen, die
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unter heftigen Wahnanfällen leiden, sich nicht selten selbst die Augen herausreißen. Vielleicht werfen sie sich ja auch Löwen zum Fraß vor.»
«Mister Kennedy war nicht wahnsinniger als Ihr und ich», sagte Newton. «Als ich zumindest, denn Ihr, Mylord Lucas, zeigt in dieser Sache bereits die ersten Anzeichen von Wahn. Und Ihr ebenfalls, Captain, wenn Ihr bei dieser Meinung bleibt.»
Lord Lucas grinste nur höhnisch, aber Captain Mornay, den ich für einen Iren hielt, schien doch einigermaßen bestürzt ob dieses Vorwurfs.
«An dem, was ich gesagt habe, ist doch gewiss nichts, was es rechtfertigen würde, mich mit solchen Menschen auf eine Stufe zu stellen», erklärte er.
«Und nun, Gentlemen», sagte Lord Lucas, «wenn Ihr mich bitte entschuldigen wollt. Ich habe zu tun.»
Doch Newton hatte sich bereits verbeugt und war auf dem Weg nach draußen. Captain Mornay und ich folgten ihm, wobei sich der Captain fast schon bei mir zu entschuldigen schien.
«Ich würde es allerdings sehr bedauern, mich diesem Gentleman widersetzen zu müssen», sagte er mit einem Kopfnicken in Richtung meines Herrn, welcher vor uns herging. «Denn ich halte ihn für einen höchst gescheiten Mann.»
«Er weiß Dinge, von denen ich nie gedacht hätte, dass irgendein Mensch sie wissen könnte», erwiderte ich.
«Aber Ihr müsst verstehen, ich habe meine Befehle und muss meine Pflicht tun. Ich habe nicht die Freiheit, selbst zu denken, Mister Ellis. Ich bin sicher, Ihr versteht, was ich meine.» Und damit machte er auf dem Absatz kehrt und ging in Richtung Kapelle.
Als ich meinen Herrn eingeholt hatte, berichtete ich ihm von diesem kurzen Gespräch.
«Lord Lucas würde alles tun, um mich auszubooten», sagte er.
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«Ich glaube, er würde sogar mit den Franzosen gemeinsame Sache machen, wenn es gegen mich ginge.»
«Aber warum hasst er Euch so sehr?»
«Er würde jeden hassen, der mit der Aufsicht über die Münze Seiner Majestät betraut wäre. Wie ich Euch bereits erklärte, wurde durch die Münzerneuerung die Garnison aus der Münze vertrieben, wenngleich ich damit nichts zu tun hatte. Aber ich habe alle Münzwerker mit einem Dokument ausgestattet, welches sie vor den Presspatrouillen und vor jeder Ausübung der Tower-Privilegien an ihrer Person schützt und das nimmt mir Lucas äußerst übel. Aber wir werden ihn noch düpieren, Mister Ellis. Verlasst Euch darauf, Sir. Wir werden einen Weg finden, ihn als rechten Esel dastehen zu lassen.»
Vor dem Mittagessen ging ich zum Oberhofgericht, um Näheres über diesen Mister Defoe in Erfahrung zu bringen, der das Haus des Münzmeisters im Tower übernommen hatte. Da er jetzt bei uns in der Münze leben würde, wollte mein Herr wissen, welche Sorte Mensch er war. Und ich fand heraus, dass Mister Neales Freund ein Gelegenheitspamphletist war, der auch unter den Namen Daniel de Foe und Daniel De Fooe firmierte und dass er einst mit der gewaltigen Schuldensumme von siebzehntausend Pfund
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