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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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haben konnte. Und als ich kurz darauf wieder in den Nordostturm zurückkehrte, versäumte ich nicht zu erwähnen, dass es mir unanständig schien, ein solches Buch für jedermann einsehbar herumliegen zu lassen.
    Darauf ließ Newton von seinem Fernrohr ab und begleitete mich unverzüglich hinunter in die Kapelle, um das Buch selbst in Augenschein zu nehmen.
    «Michael Maier aus Deutschland war einer der größten hermetischen Philosophen überhaupt», bemerkte er, während er die dicken Pergamentseiten des Buches umwendete. «Und dieses Buch hier, Atalanta fugiens, ist eins der bedeutendsten Werke der geheimen Kunst. Die Illustrationen, welche Euren Unmut erregt haben, Mister Ellis, sind selbstverständlich allegorischer Natur und wenn sie auch, für sich genommen, schwer verständlich sind, dienen sie doch keinem unanständigen Zweck, da könnt Ihr beruhigt sein. Aber es war aufgeschlagen, sagt Ihr?»
    Ich nickte.
    «Bei welcher Seite?»
    -152-

    Ich blätterte, bis ich zur Darstellung eines Löwen kam.
    «Angesichts dessen, was Mister Kennedy widerfahren ist», sagte er, «könnte es doch verdächtig sein, dass just der Grüne Löwe aufgeschlagen war.»
    «Es hat ein Exlibris», sagte ich, wandte die Seiten um und zeigte ihm Raleighs Exlibris.
    Newton nickte nachdenklich. «Sir Walter saß hier dreizehn Jahre gefangen. Von 1603 bis 1616, als man ihn freiließ, damit er seine Sünden gutmachte, indem er eine Goldmine in Guyana entdeckte. Was er jedoch nicht tat und nach seiner Rückkehr nach England kam er wieder in Tower-Haft, bis zu seiner Hinrichtung im Jahr 1618. Dem Jahr, aus dem dieses Buch stammt.»
    «Der arme Mann», rief ich aus.
    «Er verdient Euer Mitleid allerdings, denn er war ein großer Gelehrter und ein bedeutender Philosoph. Es heißt, dass er und Harry Percy, der Wizard Earl, in dem richtigen Bestreben, hypothetische Erklärungen möglichst zu meiden, hier im Tower hermetische, medizinische und physikalische Experimente durchführten. Das würde das Buch erklären, nicht aber, warum es jetzt hier gelesen wird. Ich muss den Archivar bei nächster Gelegenheit fragen, wer dieses Buch studiert hat. Denn das könnte uns einen Hinweis darauf liefern, wer den armen Mister Kennedy ermordet hat.»

    -153-

    DRITTES KAPITEL

    UND DAS IST DIE BOTSCHAFT, DIE WIR VON IHM
    GEHÖRT HABEN UND EUCH VERKÜNDIGEN, DASS
    GOTT LICHT IST UND IN IHM IST KEINE FINSTERNIS.
    Erster Johannes-Brief l, 5

    Vom White Tower, wo Newton Orion durch sein Teleskop observiert hatte, kehrten wir in unsere Amtsstube zurück und erörterten dort noch einmal die Ermordung des armen Mister Kennedy und das Verschwinden Daniel Mercers und Mrs.
    Berninghams, für die Newton gerade die Haftbefehle ausstellte.
    «Ich glaube allerdings nicht, dass wir sie finden werden», sagte er, als er mir die Papiere reichte. «Mrs. Berningham ist aller Wahrscheinlichkeit nach bereits auf einem Schiff. Und Daniel Mercer ist aller Wahrscheinlichkeit nach tot.»
    «Tot? Wie kommt Ihr darauf?»
    «Wegen der Botschaft, die in seiner Wohnung hinterlassen wurde. Die hermetischen Zeichen, welche wir dort auf dem Tisch fanden, haben mir das im Grund bereits gesagt. Und weil zudem nichts von seinen persönlichen Besitztümern fehlt. Der neue Biberhut dort auf dem Stuhl dürfte an die fünf Pfund gekostet haben. Einen solchen Hut lässt man nicht zurück, wenn man aus freien Stücken verschwindet. So wenig, wie man bei dieser Kälte einen guten, warmen Mantel zurücklassen würde.»
    Wie üblich waren seine Argumente zwingend.
    Ich wollte meinem Herrn gerade sagen, dass ich gern zu Bett gehen würde, da es schon spät war, als es plötzlich laut an die Tür pochte und der alte John Roettier die Amtsstube betrat.
    John Roettier zählte zu einer alten flämischen Sippe von
    -154-

    Stempelschneidern, welche seit der Wiedereinsetzung des Königtums in der Münze diente. Er war in einer schwierigen Situation: Er war römischkatholisch und seine Brüder Joseph und Phillip waren nach Paris und Brüssel gegangen, um in den dortigen Münzanstalten zu arbeiten, worauf die Söhne des alten John, James und Norbert, die frei gewordenen Plätze eingenommen hatten. Diese beiden nun waren kürzlich nach Frankreich geflohen, nachdem James bezichtigt worden war, an einem verräterischen Komplott zur Ermordung König Williams beteiligt gewesen zu sein. Also war jetzt nur noch der alte Mann hier in der Münze, wo er seine Stempel schnitt und von der Ordnance wegen seines Glaubens und

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