Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
steckte, war ich doch überzeugt, dass sein Verstand ihn sich auf einen Blick hatte einprägen können. Doch als er dann, nach über einer Stunde mit dem Kater auf dem Schoß, etwas sagte, war es nur ein einziges Wort.
    «Bemerkenswert», sagte er.
    «Was, Sir?»
    «Nun, der Mord an Major Mornay natürlich.»
    «Mit Verlaub, Doktor, ich habe die ganze Zeit hier gesessen und gedacht, wie wenig bemerkenswert er doch ist. Verglichen mit den anderen Morden.»
    «Was habt Ihr über George Macey gesagt?»
    «Nichts, Sir. Ich habe die ganze letzte Stunde überhaupt nichts gesagt.»
    -236-

    «Vorhin, im Garten des Münzprüferhauses, Sir. Wovon habt Ihr da gesprochen?»
    «Nur davon, Sir, dass es mir schwer fällt, den Mord an Macey irgendwie mit den drei nachfolgenden Morden in Verbindung zu bringen.»
    «Was bringt Euch zu dieser Aussage?»
    «Das Fehlen des charakteristischen Be iwerks, Sir.»
    «Aber seht Ihr denn bei dem Mord an Major Mornay viel an solchem Beiwerk?», fragte er.
    «Nun, Sir, da ist der verschlüsselte Brief. Wir haben dieselbe Chiffre doch schon bei Kennedy und dann bei Mercer gefunden.»
    «Und was noch?»
    Ich dachte kurz nach. «Sonst fällt mir nichts ein», gab ich zu.
    «Das ist ja das Bemerkenswerte an diesem letzten Mord», sagte Newton. «Das Fehlen auffälliger Zeichen. Keine toten Raben.
    Kein Stein im Mund des Toten. Keine Pfauenfedern. Keine Flöte. Nichts außer dem Leic hnam selbst und dem chiffrierten Brief. Es ist, als sei der Tower-Mörder plötzlich stumm.»
    «Das ist wahr, Sir. Aber vielleicht hat uns unser Mörder nichts zu sagen. Wenn die verschlüsselte Botschaft nicht wäre, könnte man fast meinen, Major Mornay wäre von einem anderen Mörder umgebracht worden als Mercer und Kennedy. Oder auch George Macey.»
    Newton versank wieder in einer seiner ausgedehnten Schweigeperioden, auf welche man am besten ebenfalls mit Schweigen reagierte. Und in solchen Phasen schob ich die Morde, die im Tower geschehen waren, beiseite, nahm im Geist ein Sticktuch zur Hand und machte mich daran, mit Seidengarn und Perlstichen meine, inzwischen schon zu einem rechten Kunstwerk gediehene, Liebe zu Miss Catherine Barton noch weiter auszuschmücken. Und dergestalt von allem anderen
    -237-

    abgelenkt, träumte ich davon, wieder mit ihr zusammen zu sein, denn heute war der Abend, da ich mit Onkel und Nichte speisen sollte. Und so glaubte ich schon fast, Newton habe in meinen Kopf geblickt und gesehen, was dort vor sich ging, als er schließlich sagte, es sei Zeit, zum Abendessen in die Jermyn Street zu gehen. Mein Herz setzte einen Schlag aus und meine Ohren glühten so, dass ich froh war, meine Perücke aufzuhaben.
    Die Kutschfahrt in die Jermyn Street vollzog sich ebenfalls in Schweigen und ich dachte, dass Newton, bei aller Abneigung, die er gegen Mönchsorden bekundete, einen prächtigen Mönch abge geben hätte, wenn auch wohl einen vom Schlage seines großen Vorbilds Giordano Bruno. Bruno war wegen seiner Theorien vo n der Unendlichkeit des Universums und der Vielzahl der Planetensysteme und wegen seines Festhaltens am Kopernikanismus im Jahr 1600 als Ketzer hingerichtet worden.
    Newton bewunderte Bruno, der im Verdacht gestanden hatte, Arianer zu sein und gewiss hatten die beiden viel gemein, wenn ich auch nicht glaube, dass sie sich hätten leiden können. Genau wie Kain duldet auch der Genius keinen Bruder neben sich.
    Und Genialität ist auch nicht immer mit Ehrlichkeit verbunden.
    Ich wusste schon, dass Newton in Cambrid ge so getan hatte, als sei er ein Anhänger des Trinitarismus, um die Lucas-Professur für Mathematik behalten zu können. Und jetzt sollte ich auch noch erfahren, wie erfolgreich Newton vor seiner Nichte, Miss Barton, den Rechtgläubigen zu spielen vermochte.
    Tatsächlich schien sie über meine Anwesenheit mehr als erfreut, denn sie errötete unverkennbar, als sie mich in ihrem Wohnzimmer stehen sah und stammelte mit bebender Stimme eine Begrüßung, was mich in einen so wohligen Zustand versetzte, als hätte ich bereits einen Becher des heißen Weins getrunken, den sie uns jetzt bereitete. Sie trug einen modischen Spitzenkopfputz, eine Bernsteinhalskette und einen Manteau aus silberner Spitze, welcher vorn ein besticktes Mieder enthüllte und ihr überaus gut stand.
    -238-

    Nach dem Mahl (dem ersten, das wir an diesem Tag zu uns nahmen) sang Miss Barton zum Spinett, was die lieblichste Musik war, die ich mir außerhalb des Himmels nur erhoffen konnte. Sie hatte eine

Weitere Kostenlose Bücher