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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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hübsche Stimme, nicht kräftig, aber rein.
    Wobei ich allerdings nicht glaube, dass sich Newton etwas aus Musik, gleich welcher Art, machte. Er stand schließlich auf, zog sich die Perücke vom Kopf, damit Miss Barton sie durch eine elegante, selbst bestickte, scharlachrote Nachtmütze ersetzte und verneigte sich leicht in meine Richtung.
    «Ich möchte unsere Geheimschrift studieren», erklärte er. «Also sage ich Euch jetzt gute Nacht, Mister Ellis.»
    «Dann muss ich mich jetzt auch verabschieden.»
    «Ihr wollt schon gehen?», fragte Miss Barton.
    «Aber, bitte, bleibt doch noch ein wenig, Mister Ellis», insistierte Newton. «Und leistet Miss Barton Gesellschaft. Ich bestehe darauf.»
    «In diesem Fall, Sir, werde ich es tun.»
    Newton zog sich in seine Bibliothek zurück und als er fort war, lächelte mich Miss Barton aufs Lieblichste an und wir saßen ein paar Minuten schweigend da und kosteten die Ungestörtheit aus, denn zum ersten Mal waren wir ganz allein, da Mrs. Rogers sich längst zur Ruhe begeben hatte. Nach und nach begann Miss Barton zu reden: über den Krieg in den Niederlanden, Mister Drydens neuestes Buch, eine Übersetzung der Werke Vergils und Mister Southerns jüngstes Theaterstück mit dem Titel The Maids Last Prayer, das sie gesehen und sehr genossen hatte. Es war, als ob sie nervös wäre und Zuflucht in der Konversation suchte.
    «Dieses Stück habe ich nicht gesehen», bekannte ich, ohne hinzuzufügen, dass ihr Onkel mich zu sehr auf Trab hielt, als dass ich je ins Theater gehen könnte. «Aber das vorherige, The Wives' Excuse.»
    «Welches ich wiederum nicht gesehen habe. Aber ich habe es
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    gelesen. Sagt, Mister Ellis, seid Ihr auch der Ansicht, dass gehörnte Ehemänner selbst schuld sind?»
    «Da ich nicht verheiratet bin, kann ich dazu schwerlich etwas sagen», sagte ich. «Aber ich würde doch meinen, dass eine Ehefrau ihrem Gatten nur dann Hörner aufsetzt, wenn seine Mängel sie dazu treiben.»
    «Das ist auch meine Meinung», sagte sie. «Obwohl ich nicht glaube, dass ein Mann, nur weil er verheiratet ist, zum Hahnrei werden muss. Das wäre ja eine Schande für alle Frauen.»
    «Ja, das wäre es.»
    In dieser Art unterhielten wir uns weiter, obwohl es mir schwer fiel, mich der lebhaften Erinnerung an die Hure in Mrs. Marshs Haus zu erwehren, jene Deborah, die Miss Barton glich wie ein Ei dem anderen, sodass es mir manchmal die Sprache verschlug, weil mir war, als könne Miss Barton jeden Moment ihren Manteau und ihr seidenbesticktes Mieder abschütteln, auf den Esstisch steigen und zu meinem Amüsement eine unzüchtige Pose einnehmen.
    Und ihre Konversation wirkte wahrlich höchst weltklug für ein Mädchen ihres Alters und schien in einem gewissen Widerspruch zu ihrer jugendlichen Schönheit und scheinbaren Einfalt zu stehen. Sie fragte mich sogar nach den Morden im Tower, von denen ihr Newton bereits erzählt hatte und mir wurde bald klar, dass sie keineswegs das sittsame weiße Veilchen war, als das Newton sie hingestellt hatte. Tatsächlich war ihre Rede so lebhaft, dass ich bald schon den Eindruck gewann, ihre Intelligenz sei der seinen fast ebenbürtig. Ganz bestimmt aber glich sie ihm in dem Drang, das Leben als Experiment zu betrachten, ja, übertraf ihn, wie ich gleich erfahren sollte, sogar darin. Aber wenn auch der Garten ihres Geistes mit derselben Symmetrie und Logik angelegt war wie bei ihrem Onkel, musste vieles darin doch erst noch reifen.
    «Mister Ellis», sagte sie schließlich. «Ich hätte gern, dass Ihr
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    Euch neben mich setzt.»
    Ich rückte, wie gebeten, meinen Stuhl an ihren heran.
    «Ihr dürft meine Hand halten, wenn Ihr mögt», setzte sie hinzu und ich tat es.
    «Miss Barton», sagte ich, durch unsere Nähe ermutigt. «Ihr seid das hübscheste Geschöpf, das je ein Mann geschaut hat.» Und ich küsste ihre Hand.
    «Lieber Tom», sagte sie. «Ihr küsst meine Hand. Aber wollt Ihr mich nicht richtig küssen?»
    «Mit Freuden, Miss Barton», sagte ich und beugte mich vor, um sie überaus keusch auf die Wange zu küssen.
    «Ihr küsst mich wie mein Onkel, Sir», sagte sie tadelnd. «Wollt Ihr mich nicht auf die Lippen küssen?»
    «Wenn Ihr es gestattet», sagte ich und küsste zart ihre Rosenknospenlippen. Dann hielt ich ihre kleine Hand und erklärte ihr, wie sehr ich sie liebte.
    Sie antwortete gar nicht auf diese Liebeserklärung, fast als ob sie schon wüsste, wie sehr ich sie liebte und es lediglich als ihr gutes Recht betrachtete.

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