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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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schon eine Lüge? Nichts. Nichts als Worte. Hätte ich durch Heuchelei das Band zwischen uns erhalten können?
    Möglich. Liebe will, genau wie ein gehörnter Ehemann, getäuscht werden. Ich hätte glattzüngig antworten können, dass ich ein rechtgläubiger Christ sei und mein Fieber wohl wieder aufgeflammt sein müsse und sie hätte mir geglaubt. Ich hätte sogar eine Ohnmacht vortäuschen und hinsinken können, als litte ich an der Fallsucht. Doch stattdessen wich ich ihrer Frage gänzlich aus, was ihr zweifellos Antwort genug war.
    «Wenn ich Euch insultiert habe, Miss Barton, tut es mir von Herzen Leid und ich bitte Euch demütigst um Verzeihung.»
    «Ihr habt Euch selbst insultiert, Mister Ellis», sagte sie mit geradezu majestätischer Herablassung. «Nicht vor mir, sondern vor Ihm, der Euch erschaffen hat und vor den Ihr eines Tages
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    treten werdet, um gerichtet und für Eure Blasphemie zur Rechenschaft gezogen zu werden.» Sie schüttelte den Kopf, seufzte laut und fuhr dann fort: «Ich habe Euch geliebt, Mister Ellis. Es gab nichts, was ich nicht für Euch getan hätte, Sir. Wie Ihr ja heute Abend selbst bemerkt habt. Ihr wart die letzten Monate ständig in meinen Gedanken. Ich hätte Euch so sehr geliebt. Vielleicht hätten wir eines Tages sogar geheiratet. Wie sonst hätte ich vorhin unsere Intimitäten zulassen können? Aber ich könnte keinen Mann lieben, der unseren Herrn Jesus Christus nicht liebt.»
    Das tat schier unerträglich weh, denn mir war klar, dass sie unsere Beziehung beenden wollte und meine einzige Hoffnung, sie wiederzugewinnen, war jetzt der Mann, der von der Liebe nicht mehr verstand als Oliver Cromwell. Doch ich versuchte noch immer, mich zu rechtfertigen, so wie jemand, der eines Verbrechens überführt, aber noch nicht verurteilt ist und noch ein letztes Mal Gelegenheit erhält, für sich zu sprechen.
    «Unter den Frommen sind jede Menge Schwindler», sagte ich.
    «Welche nur gottesfürchtig tun. Das Einzige, was ich sagen kann, Miss Barton, ist, dass mein Atheismus ehrlich und schwer erarbeitet ist. Ich wollte, es wäre anders. Ich würde lieber an all diese Fabeln und Legenden glauben als an ein ganzes Universum ohne lenkenden Geist. Aber ich tue es nicht. Ich kann es nicht. Ich will es nicht. Bis ich Euren Onkel kennen lernte, dachte ich, Gott zu leugnen hieße, das Mysterium der Welt zu zerstören. Doch jetzt, da ich erkannt habe, dass es möglich ist, das Mysterium der Welt von einem Menschen wie ihm erklärt zu finden, kann ich nichts anderes glauben, als dass die Kirche so hohl ist wie ein Hexenring und die Bibel so unbegründet wie der Koran.»
    Miss Barton schüttelte heftig den Kopf. «Aber woher kommt das grundlegende Gestaltungsprinzip aller Vögel, Tiere und Menschen, wenn nicht aus dem Ratschluss und Plan eines göttlichen Schöpfers? Wie kommt es, dass die Augen aller
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    Kreaturen gleich gebaut sind? Wusste der blinde Zufall, dass es Licht gab und wie es sich brechen ließ und konstruierte er die Augen aller Geschöpfe auf höchst spezielle Weise so, dass sie es nutzen konnten?»
    «Das Gestaltungsprinzip der Schöpfung schiene nur unerklärbarer Zufall», argumentierte ich. «Genauso wie einst die Schwerkraft und der Regenbogen, welche jetzt, da sie erklärt sind, nicht zufälliger sind als Prismen oder Teleskope. Eines Tages werden all diese Fragen beantwortet sein, aber nicht mit Hilfe eines Gottes. Die Hand Eures Onkels hat den Weg gewiesen.»
    «Sprecht nicht so über ihn», sagte Miss Barton. «Er glaubt so etwas nicht. In seinen Augen ist Atheismus dumm und abscheulich. Er weiß, dass da ein Wesen ist, welche alle Dinge erschaffen hat und Macht über alle Dinge besitzt, ein Wesen, das wir zu fürchten haben. Fürchtet Gott, Mister Ellis. Fürchtet ihn so, wie Ihr mich einst geliebt habt.»
    Jetzt war es an mir, den Kopf zu schütteln. «Die besondere Würde des Menschen erwächst nicht aus der Furcht, sondern aus der Vernunft. Wenn ich Gott aus Furcht anhängen muss, dann ist Gott selbst unwürdig. Und wenn Euer Onkel das nicht erkennt, dann kann das nur daran liegen, dass er es nicht erkennen will, denn in allem anderen ist er das Inbild der Erkenntnis.
    Doch lasst uns jetzt diesen Streit beenden, Miss Barton. Ich sehe, dass meine Äußerungen für Euch ein schmerzlicher Affront waren und ich werde nichts mehr sagen, was Euch noch mehr erbost.»
    Ich verbeugte mich steif und setzte nur noch hinzu, dass ich sie für immer lieben würde, worauf sie

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