Nextopia
Jugend in der Zukunft. Wenn das Alter am Ende des Weges liegt, müsste eine sich weit vor Ihnen erstreckende Zukunft ja per definitionem bedeuten, dass Sie jung sind.
Das ist das Magische an der Welt beliebiger Verfügbarkeit – all die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten haben keinerlei Begrenzung, und niemand kann jemals sagen: »So, jetzt habe ich alles gesehen und alles gehört, ich muss nicht mehr weitermachen, wenn mein Leben jetzt zu Ende ginge, würde ich glücklich sterben!«
Es kommt immer noch mehr, und es lohnt sich immer. Die Natur ermutigt Sie, stimuliert Sie und gibt Ihnen die Kraft weiterzumachen. Es gibt immer ein nächstes Rendezvous.
Wenn Sie »Senioren-Kontakte« oder »60+ Dating« in eine Suchmaschine eingeben, erhalten Sie Millionen Treffer. Trotz all der Verbesserungen in puncto Gesundheitsversorgung, Sicherheit und sozialen Strukturen kann man nicht ausschließen, dass der markante Anstieg der Lebenserwartung um die Jahrtausendwende zum Teil ein Ergebnis der Erwartungsgesellschaft ist – die Erwartung all der Gelegenheiten, die wir bekommen, und all des Glücks, das wir durch zukünftige Dates oder fantastische neue Produkte erfahren werden, erhält uns am Leben und lässt uns jung und handlungsbereit bleiben.
Während die Lebenszufriedenheitsdiagramme in den vorherigen Kapiteln bemerkenswert stetige Linien aufwiesen, deuten Forschungen darauf hin, dass es doch eine geringe Schiefe gibt – schon immer ging die Lebenszufriedenheit der Menschen tendenziell nach oben, je weiter sie sich dem Lebensende näherten. Das Nextopia-V wird zusammengedrückt, wenn der Zufriedenheitsgrad steigt, und liefert ein geringeres Zukunftsversprechen. Forschungen belegen, dass geringere Erwartungen zu weniger Engagement und Bemühungen führen, also teilt uns die Natur auf diese Weise vielleicht mit, dass es Zeit zum Loslassen ist.
Jetzt nicht mehr. In der Welt beliebiger Verfügbarkeit mit 6,2 Millionen Rendezvousmöglichkeiten für Menschen über 70 und 6,6 Millionen Geschäften für Seniorenmode, die Google zur Anprobe bereitstellt, unmittelbar vor ihren langen Fingern, können Senioren keinerlei Hinweis darauf erkennen, dass es Zeit ist, den Löffel abzugeben. Die Erwartungsgesellschaft ist ein wahrer Jungbrunnen.
Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum sich laut UK National Statistics Office in der Erwartungsgesellschaft die Lebenserwartung der 50-Jährigen zwischen 1981 und 2010 um sechs Jahre erhöht hat und die der 65-Jährigen um weitere dreieinhalb Jahre. Im selben Zeitraum hat sich dieWahrscheinlichkeit, 100 Jahre alt zu werden, um das Siebenfache erhöht. In den USA lebten die Menschen 2010 durchschnittlich sechseinhalb Jahre länger als 1990. Kanadische Statistiken zeigen eine ähnliche Tendenz, hier hat ein 2009 geborenes Baby eine mehr als drei Jahre höhere Lebenserwartung als eines, das 1991 zur Welt kam.
Das Mantra der Erwartungsgesellschaft: Du bist niemals besser als deine nächste Leistung
IN DER WELT BELIEBIGER VERFÜGBARKEIT ERWARTEN WIR, dass die Technologie, die Lebensumstände, die Geschmäcker und vielleicht sogar die Gesetze von Raum und Zeit (beispielsweise bei der Urlaubsgestaltung) sich ändern. Die frühere Ablauffrist von 27 Jahren wurde oft damit erklärt, dass die Menschen bis dahin zu viel in bestehende Kenntnisse, Fähigkeiten, Erfahrungen und Geschmacksfragen investiert haben, um für einen Fortschritt oder eine Veränderung bereit und willens zu sein. Doch in der Erwartungsgesellschaft investieren die Leute in die Zukunft statt in die Vergangenheit, und alle gegenwärtigen Kenntnisse, Erfahrungen, Gelegenheiten und Geschmacksfragen werden drastisch im Preis reduziert.
Was den Geschmack betrifft, so sagen die Statistiken, dass sein Mindesthaltbarkeitsdatum bei 39 liegt. Nach Studien von Robert Sapolsky, Professor für Neurobiologie, sind die Menschen jenseits eines Alters von 39 Jahren weniger geneigt, neue Nahrungsmittel auszuprobieren und zu genießen. Vor nicht allzu langer Zeit schien es einleuchtend, dass die meisten Menschen die Gelegenheit gehabt hatten, einen Großteil aller verfügbaren Nahrungsmittel kennenzulernen, und es für wenig sinnvoll hielten, im weiteren Umkreis nach etwas auf die Jagd zu gehen, das sie in den Geschäften und Restaurants ihrer Nachbarschaft vielleicht nicht bekommen hatten. Allerdings gab es immereine Ausnahme dieser Regel – die Leute probieren gerne neue Lebensmittel und fremde Geschmacksrichtungen aus, wenn
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