Nextopia
dass er die nächste Nummer eins sein wird.«
BESTIMMT ERKENNEN SIE DIESE SCHLAGZEILEN WIEDER; In den letzten Tagen haben Sie wahrscheinlich etliche dieser Art gelesen. In Zeitschriften, im Fernsehen, in Blogs – die Medien sind voll davon: die neusten Nachrichten und Berichte über jene Menschen, von denen in der Zukunft großartige und aufregende Dinge erwartet werden. Sie sind die Berühmtheiten der Erwartungsgesellschaft – Expectitys.
In der Welt beliebiger Verfügbarkeit kann jeder jederzeit überall ein Star werden. Die ganze Welt liegt vor jedermanns Fingerspitzen. Durch Social Media, Blogs oder Videowebsites kann jedermanns Name und Gesicht im Handumdrehen jedermanns Ohren und Augen erreichen. In der Welt beliebiger Verfügbarkeit ist es leicht, ein Star zu werden, aber praktisch unmöglich, ein Star zu bleiben.
Als Andy Warhol sagte, wir alle würden uns unsere fünfzehn Minuten Ruhm verdienen, sah die Welt noch ganz anders aus. Keine weltweite Fernsehausstrahlung, keine Handys, kein Internet und ganz sicher keine Weltraumreisen. Zu Warhols Zeiten mussten die Leute Monate oder Jahre warten, bis neue Filme, Platten und Produkte in ihrer Gegend auf den Markt kamen, und mindestens Tage, bis Nachrichten und Gerüchte ihr Ziel erreichten. Die Formulierung »fünfzehn Minuten Ruhm« ist für die Bürger des neuen Jahrtausends genauso marsianisch wie die Gesellschaft und die Lebensumstände jener Zeit, in der sie geprägt wurde.
Im neuen Jahrtausend können wir höchstens auf fünfzehn Millisekunden Ruhm hoffen.
Wir wetteifern nicht mehr mit den Menschen in unserer Nähe um einen Platz im Rampenlicht, wir wetteifern mit den Milliarden Menschen auf der ganzen Welt, die nicht weiter von unserem lokalen Fernsehsender, Hochglanzmagazin oder Mobiletelefon entfernt sind als wir selbst. Und wir wetteifern mit der Zeit. Denn was immer wir auch erreichen, bald schon wird etwas Bedeutenderes und Faszinierendes kommen. Jeder weiß das und rechnet auch damit. In Erwartung des Bevorstehenden sind vergangene Errungenschaften nicht viel wert. Wie bei jedem Produkt sind auch unsere Handlungen angesichts von morgen oder gar der nächsten Millisekunde im Preis reduziert.
Ganz im Sinne des Trailerismus richten wir unsere Aufmerksamkeit auf jene, die noch nichts erreicht und geleistet haben, von denen wir es aber erwarten. Wir werfen einen genaueren Blick auf die Aufsteiger der Bundesliga-Tabellen und auf Sportler, für die wir einen neuen Weltrekord voraussagen, als auf die Tabellenführer und Rekordhalter. Die Stars demnächst anlaufender Kinofilme und Schauspieler, die als Oscar-Gewinner gehandelt werden, erhalten mehr Aufmerksamkeit als jene, die bereits Hauptrollen gespielt und Oscars gewonnen haben.
In Nextopia sind die erwarteten Taten und Errungenschaften viel großartiger und interessanter als alles, was wir bis jetzt von jemandem gesehen haben. Die Zukunft ist immer besser als die Vergangenheit, was die Expectitys automatisch zu Siegern macht.
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Nochmal Obama – preisgekrönt für Erwartungen
Nach der großen Popularitätsspitze zur Wahl und der (natürlich viel geringeren) Spitze zur Amtseinführung beginnt Barack Obama in der Versenkung zu verschwinden und sich vom Expectity zum Gegenwärtigen (dem Äquivalent der Erwartungsgesellschaft zum Ehemaligen) zu verwandeln. Aber eine Spitze sollte noch kommen.
Noch bevor das erste Jahr seiner Präsidentschaft vorüber ist, manifestiert das Nobelpreis-Komitee seine Rolle in der Erwartungsgesellschaft, indem es Barack Obama den Friedensnobelpreis verleiht. Nicht für das, was er für den Weltfrieden getan hat (zu dieser Zeit packte er wahrscheinlich gerade seine Umzugskartons im Oval Office aus), sondern für das, was man von ihm erwartete.
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Man muss nicht die Boulevardzeitungen lesen, um Expectitys zu finden. Stöbern Sie einfach in Kleinanzeigen oder einer beliebigen Internet-Kontaktbörse, dort finden Sie sie – Tausende von Expectitys. Vergleichen Sie mal eine Kontaktanzeige des alten Jahrtausends mit einer Kontaktanzeige des neuen Jahrtausends, dann stellen Sie fest, dass hier zwei verschiedene Sprachen gesprochen werden:
Kontaktanzeige damals:
»Ich habe Rechnungswesen studiert, bei IBM gearbeitet, bin durch Europa gereist und mache gern lange Spaziergänge.«
Kontaktanzeige heute:
»Ich werde Medienwissenschaften studieren, möchte bei Google arbeiten, plane eine Reise durch Südostasien und mache gern Entdeckungen.«
Während die Kontaktanzeigen
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