Nexus
Ich bücke mich, um es zu suchen. Ich krieche auf allen vieren. Da, ein Spalt im Boden fesselt meine Aufmerksamkeit. Er erinnert mich an etwas. An was? Ich bleibe so auf allen vieren, als ob ich darauf wartete, wie ein Mutterschaf «bedient» zu werden. Gedanken wirbeln mir durch den Kopf und heraus durch das Loch oben im Schädel. Ich fasse nach dem Notizbuch und werfe ein paar Worte hin. Weitere Gedanken, Plagegeister von Gedanken. (Was vom Tisch fiel, war eine Streichholzschachtel.) Wie sollte ich diese Gedanken in dem Roman verarbeiten? Immer dasselbe Dilemma. Und dann denke ich an die Twelve Men . Wenn ich nur einen kleinen Abschnitt zustande brächte, der die Wärme, die Zartheit und das Pathos jenes Kapitels über Paul Dressler hätte! Aber ich bin kein Dreiser, und ich habe keinen Bruder Paul. Sie sind weit weg, die Ufer des Wabash. Weiter, viel weiter als Moskau oder Kronstadt oder die warme, so romantische Krim. Warum?
Rußland, wohin führst du uns? Vorwärts! Ech koni, koni!
Ich denke an Gorki, den Bäckergesellen, das Gesicht weiß von Mehlstaub, und den großen, dicken Bauern (im Nachthemd), der sich mit seinen geliebten Säuen im Dreck wälzt. Die Hohe Schule des Lebens . Gorki: Mutter, Vater, Kamerad. Gorki, der geliebte Vagabund -ob er wandert, weint, pißt, betet oder flucht, immer schreibt er, Gorki, der mit Blut schrieb. Ein Schriftsteller, echt wie die Sonnenscheibe . ..
Das alles nur, wenn ich bloß den Titel eines Buches ansehe, wie ich schon gesagt habe.
So verging der Tag wie ein mit der linken Hand gespieltes Klavierkonzert. Ich konnte von Glück sagen, wenn bei der Qual der Inspiration ein paar Seiten herauskamen. Schreiben! Eine Arbeit wie das Ausziehen von Giftsumach. Oder die Suche nach Mangold.
Wenn sie dann und wann fragte: «Nun, was bringst du fertig, lieber Val?» hätte ich am liebsten den Kopf in den Händen vergraben und geschluchzt.
«Überanstreng dich nicht, Val.»
Aber ich strengte mich an, ich arbeitete nur so drauflos, bis ich kein Stückchen Kacke mehr im Bauch hatte. Manchmal kommt mir die Erleuchtung gerade, wenn sie sagt: «Komm zum Abendessen.» Vielleicht hält sie bis zum Essen an. Oder vielleicht sogar bis Mona schläft. Manana .
Bei Tisch sprach ich über meine Arbeit, als wäre ich ein zweiter Alexandre Dumas oder ein Balzac. Immer über das, was ich tun will, nie über das, was ich getan habe. Ich habe eine Nase für das Ungreifbare, das Unfertige, das Ungeborene.
«Und was hast du heute angefangen?» fragte ich manchmal. «Wie hast du den Tag verbracht?» (Mehr um Erleichterung von den Zwickzangen der mich plagenden Teufel zu finden, als um die Belanglosigkeiten zu hören, die ich schon auswendig wußte.)
Ich hörte mit einem Ohr zu und konnte dabei Pap sehen, der wie ein treuer Hund auf seinen Knochen wartete. Ob wohl genug Fleisch dran war? Würde er ihm im Munde zersplittern? Es fiel mir ein, daß er in Wirklichkeit nicht auf das Manuskript wartete, sondern auf einen saftigeren Brocken - auf sie . Er würde sich — eine Weile wenigstens -mit literarischen Diskussionen begnügen. Solange sie so reizend aussah, solange sie die entzückenden Kleider trug, die sie selbst auswählen durfte, solange sie willig die kleinen Gunstbezeugungen annahm, mit denen er sie überhäufte. Solange sie ihn wie einen Menschen behandelte. Solange sie sich nicht schämte, sich mit ihm sehen zu lassen. (Glaubte er wirklich selbst, wie sie versicherte, daß er wie eine Kröte aussah?) Mit halbgeschlossenen Augen konnte ich ihn an einer Straßenecke warten sehen oder in der Halle eines nicht ganz erstklassigen Hotels oder in einem ausländischen Cafe (in einer anderen Inkarnation), einem Cafe etwa wie «Zum Hiddigeigä». Ich sah ihn immer in tadelloser Kleidung mit oder ohne Fußgamaschen und Spazierstock. Ein unauffälliger Millionär, Pelzhändler oder Börsenspekulant, nicht der Raubtiertyp, sondern, wie der Bauch anzeigte, von der Sorte, welche die guten Dinge des Lebens dem allmächtigen Dollar vorzieht. Ein Mann, der früher Geige gespielt hatte. Ein Mann von Geschmack, kein anrüchiger Kerl. Ein Durchschnittstyp vielleicht, aber nicht gewöhnlich. Auffallend durch seine Unauffälligkeit. Wahrscheinlich voll von Wassermelonenkernen und anderen Obstbestandteilen. Dazu mit einer kranken Frau belastet, die er nie kränken würde. «Schau, Liebling, was ich dir mitgebracht habe: Einen Matjeshering, etwas Lachs und einen Krug eingemachter Geweihe aus dem
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