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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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nur erinnern, wie ich gelegentlich die Darstellung durch verzwickte Wendungen beleben konnte, zum Beispiel: «Der Wurm, der an ihrer Blase nagen würde» oder «der Brei, der hinter seiner Stirn die Klebrigkeit verloren hatte». In der Bibel steckten Zettel zur sofortigen Auffindung der dort versteckten Edelsteine. Die Bibel war eine richtige Diamantengrube. Jedesmal, wenn ich die Stellen aufschlug, wurde ich angesteckt. Das Lexikon war mit Papierstreifen durchsetzt, auf denen ich Listen verschiedener Gattungen und Arten anlegte. Es fanden sich dort Rubriken für Blumen, Vögel, Bäume, Reptilien, Edelsteine, Gifte und so weiter. Kurz, ich hatte mich mit einem richtigen Arsenal umgeben.
    Aber was war das Ergebnis? Wenn ich zum Beispiel über ein Wort wie Praxis oder Pleroma nachdachte, summte mein Geist umher wie eine betrunkene Wespe. Oder ich führte einen verzweifelten Kampf, um mich an den Namen des russischen Komponisten zu erinnern, des Mystikers oder Theosophen, der sein größtes Werk unvollendet gelassen hatte. Ich meine den, von dem jemand geschrieben hatte: «Er, der seiner Vorstellung nach der Messias war, der davon träumte, die Menschheit zu dem ‹letzten Fest› zu führen, der sich für Gott gehalten und alles, sich selbst eingeschlossen, für seine eigene Schöpfung angesehen hatte, der davon träumte, durch die Kraft seiner Töne das Universum zu zerstören - er starb an einem Pickel.» Scriabin , so hieß er. Ja, Scriabin konnte mich tagelang aus dem Geleise werfen. Jedesmal, wenn mir sein Name in den Kopf sprang, war ich wieder in der Second Avenue, im Hinterzimmer eines Cafes, umgeben von Russen (gewöhnlich weißen) und russischen Juden, und lauschte, wie ein unbekanntes Genie die Sonaten, Präludien und Etüden des göttlichen Scriabin spielte. Von Scriabin zu Prokofieff, zu dem Abend, an dem ich ihn zum erstenmal hörte, in der Carnegie Hall wahrscheinlich, oben auf der Galerie. Als ich aufstand, um zu applaudieren oder zu brüllen - wir alle brüllten damals wie Verrückte -, war ich so aufgeregt, daß ich fast von der Galerie gefallen wäre. Ein großer, hagerer Mann war er und hatte einen Gehrock an, er sah aus wie eine Gestalt aus der Dreigroschenoper, wie Monsieur le Pompe Funebre. Von Prokofieff zu Luke Ralston, der jetzt nicht mehr unter uns weilt, ebenfalls ein Asket, mit einem Gesicht wie die Totenmaske des Monsieur Arouet. Ein guter Freund war Luke Ralston. Nach dem Rundgang bei den Schneidern der Fifth Avenue, denen er seine Muster importierter Wolle vorlegte, ging er nach Hause und sang deutsche Lieder, während seine alte Mutter, die ihn mit ihrer Liebe ruiniert hatte, ihm Schweinsknöchel mit Sauerkraut vorsetzte und ihm zum zehntausendsten Male sagte, was für ein lieber, guter Sohn er sei. Seine dünne, geschulte Stimme war unglücklicherweise zu schwach, um mit den gedankenschweren Melodien seines geliebten Hugo Wolf fertig zu werden, die er immer als Lockspeise in sein Programm einfügte. Mit dreiunddreißig starb er an Lungenentzündung, so sagte man wenigstens, aber wahrscheinlich an gebrochenem Herzen . . . Und dazwischen tauchen Erinnerungen an andere vergessene Gestalten auf - Minnesänger, Flötenspieler, Cellisten, auch Pianisten in Röcken, wie jene häßliche, die immer Schuberts Karneval auf ihr Programm setzte. (Sie erinnerte mich stark an Maude, die Nonne, die Pianistin geworden war.) Es waren auch noch andere da, Kurz- und Langhaarige, alle vorzüglich wie Havannazigarren. Manche hatten Brustkörbe wie Stiere und konnten mit ihren Wagnerischen Schreien die Kerzenleuchter ins Wanken bringen. Einige waren wie liebliche Jessicas, trugen das Haar in der Mitte gescheitelt und an die Schläfen geklebt, gütige Madonnen (meist Jüdinnen), die sich noch nicht angewöhnt hatten, zu jeder Nachtstunde den Kühlschrank auszuräumen. Und dann die Geiger und Geigerinnen, manchmal Linkshänder, oft mit rotem oder verwaschenem orangegelbem Haar und mit Busen, die der Bogenführung im Wege standen ...
    So ging es mir, wenn ich nur ein Wort anschaute. Oder ein Bild oder ein Buch. Manchmal genügte schon der Titel wie Herz der Finsternis oder Unter Herbststernen . Wie begann sie doch noch mal, diese wunderbare Geschichte? Las ein paar Seiten und warf dann das Buch weg. Unnachahmlich. Und wie hatte ich angefangen? Ich las es noch einmal durch. Paul Morphy hätte sicher nicht besser eröffnen können. Ach, du lieber Gott, schwach, schlecht, hundsmiserabel. Es fällt etwas vom Tisch.

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