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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Rentierland.»
    Und wenn er die ersten Seiten liest, wird dieser von Obstkernen rasselnde Millionär ausrufen: «Ha, ich rieche Lunte!» Oder er wird sein zähes Hirn einschläfern und nur vor sich hin murmeln: «Ein schöner Schund, eine mittelalterliche Romanze.»
    Und unsere Hauswirtin, die gute Mrs. Skolsky, was würde sie sagen, wenn sie einen Blick auf diese Seiten würfe? Würde sie sich vor Aufregung die Hose naß machen? Oder würde sie Musik hören, wo es nur seismographische Störungen gab? (Ich konnte sie zur Synagoge laufen sehen, um Widderhörner zu holen.) Eines Tages mußten wir uns mal gründlich über die Schreiberei ausquatschen. Entweder mehr Strudel und mehr Sirota — oder die Gavotte . Wenn ich nur ein bißchen Jiddisch könnte!
    «Nennen Sie mich Reb!» Das waren Sid Essens Abschiedsworte.
    Eine so exquisite Folter, dieser Schwindel mit dem Schreiben! Irrenhausträumereien gemischt mit Erstickungsanfallen und mardrömmen , wie die Schweden sagen. Vierschrötige Skulpturen mit Diamantentiaren. Barocke Architektur. Kabbalistische Logarithmen. Mezuzahs und Gebetsmühlen. Geschwollene Sätze. («Daß niemand», sagte der Suk, «auf diesen Mann mit Wohlgefallen blickt!») Himmelsweiten von blaugrünem Kupfer, von feinen Spitzenmustern durchzogen. Schirmstangen, obszöne Kratzmalereien. Der Esel Bileams, der sein Hinterteil leckt. Wiesel, die Unsinn herausgeifern. Eine menstruierende Sau . . . Alles, weil ich «ein ganzes Leben vor mir» hatte, wie sie es einmal ausdrückte.
    Manchmal segelte ich mit großen schwarzen Flügeln hinein. Dann kam alles holterdiepolter, mit dem Arsch zuerst. Seite auf Seite. Stöße davon. Aber nichts paßte in den Roman. Nicht einmal in das Buch ewiger Dunkelheit . Wenn ich sie überlas, war es mir, als hätte ich einen alten Druck vor mir: ein Zimmer in einem mittelalterlichen Haus, die alte Frau sitzt auf dem Topf, der Arzt steht mit glühender Zange daneben, eine Maus trippelt auf ein Stück Käse zu, das in der Herrgottsecke auf dem Boden liegt. Eine Erdgeschoßansicht sozusagen. Ein Kapitel aus der Geschichte immerwährenden Elends. Verkommenheit, Schlaflosigkeit, Gefräßigkeit, die als die drei Grazien posieren. Alles beschrieben in Quecksilber, Benzin und übermangansaurem Kali.
    An einem anderen Tag wanderten meine Hände mit der glücklichen Leichtigkeit einer Borgiaschen Mörderklaue über die Tasten. Mit der Stakkatotechnik ahmte ich die ghibellinischen Haarspalter und Wortklauber nach. Oder machte Sprünge wie ein saltimbanque , der eine Vorstellung für einen schwachsinnigen Monarchen gibt.
    Am nächsten Tag arbeitete ich in Vierfüßermanier. Alles wurde in Hufschlägen, Rotzfäden, Schnauben und Furzen ausgedrückt. Ein Hengst (ech!) mit Torpedos in den Weichen, der über einen gefrorenen See galoppiert. Alles Bravourstücke sozusagen.
    Und dann, wie wenn der Sturm sich legt, floß alles dahin wie ein Lied - ruhig, gleichmäßig, mit dem stillen Glanz eines Magnesiumlichtes. Wie die Hymnen der Bhagavadgita. Ein Mönch in safrangelber Kutte, der das Werk des Allwissenden besingt. Kein Schriftsteller mehr. Ein Heiliger. Ein Heiliger der Sanhedrinsekte. Gott segne den Autor! (Haben wir einen David hier?)
    Was für eine Freude war es, zu tönen wie eine Orgel mitten auf einem See!
    Beißt mich, Bettläuse! Beißt, solange ich noch Kraft habe.
    Ich nannte ihn nicht gleich Reb. Das war mir unmöglich. Ich sagte immer Mr. Essen. Und er nannte mich immer Mr. Miller. Aber wenn uns jemand zugehört hätte, würde er angenommen haben, wir kennten uns ein Leben lang.
    Eines Abends, während ich auf der Couch lag, versuchte ich, es Mona zu erklären. Es war ein warmer Abend, wir hatten es uns gemütlich gemacht. Neben mir stand ein kühler Trank, Mona ging in ihrem kurzen chinesischen Sackkleid hin und her. Und so war ich in der richtigen Stimmung, mein Herz auszuschütten. (Dazu hatte ich an diesem Tag einige ausgezeichnete Seiten geschrieben.)
    Der Monolog hatte nicht mit Sid Essen und seinem einer Leichenhalle ähnelnden Laden eingesetzt, wo ich am Tag zuvor gewesen war, sondern damit, was für eine verheerende Stimmung mich jedesmal überfiel, wenn die Hochbahn eine gewisse Kurve durchfuhr. Der Drang, darüber zu sprechen, mußte entstanden sein, weil jene schwarze Stimmung so stark mit der gegenwärtigen, die äußerst hell und heiter war, im Widerspruch stand. Wenn ich durch jene Kurve kam, konnte ich direkt in das Fenster der Wohnung blicken, in der ich einst

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