Nexus
die Jahre, glaube ich. Früher war ich mit meinem Handwerkszeug ziemlich eifrig bei der Sache. Das brachte mich in manchen Schlamassel. Ich habe auch viel gespielt. Wenn man eine Frau hat wie ich, ist das nicht gut. Haben Sie je auf dem Rennplatz gewettet? Ich setze manchmal auf dieses oder jenes Pferd. Ich kann Ihnen nicht versprechen, Sie zu einem Millionär zu machen, aber ich kann Ihnen eine Verdoppelung Ihres Einsatzes garantieren. Fragen Sie mich nur um Rat, Ihr Geld ist bei mir gut aufgehoben, darauf können Sie sich verlassen.»
Wir kamen nach Greenpoint. Der Anblick der Gaskessel weckte ferne Erinnerungen in mir. Hier und da eine Kirche, direkt aus Rußland importiert. Die Straßennamen wurden mir immer vertrauter.
«Würde es Ihnen was ausmachen, wenn Sie in Devoe Street vor Nummer 181 hielten?» fragte ich.
«Aber durchaus nicht. Kennen Sie dort jemand?»
«Jetzt nicht mehr. Meine erste Geliebte wohnte dort. Ich möchte nur einen Blick auf das Haus werfen, mehr nicht.»
Automatisch drückte er fest auf das Gaspedal. Wir sahen plötzlich Rotlicht vor uns. Er fuhr glatt durch. «Stoppzeichen beachte ich nicht», sagte er, «aber folgen Sie nicht meinem Beispiel.»
Bei Nummer 181 stieg ich aus, nahm meinen Hut ab (wie wenn ich ein Grab besuchte) und trat an die Einzäunung vor der Rasenfläche. Ich blickte auf die Wohnzimmerfenster. Die Jalousien waren heruntergelassen wie immer. Ich bekam Herzklopfen genau wie vor vielen Jahren, als ich sehnlichst zu den Fenstern aufsah und hoffte, einen Schatten von ihr zu sehen, wenn sie sich im Zimmer bewegte. Nur für ein paar Augenblicke blieb ich dort stehen, dann machte ich mich wieder aus dem Staube. Manchmal ging ich drei- oder viermal um den Block - nur für den Fall, daß ... «Du armer Teufel», sagte ich zu mir, «du wanderst ja noch immer um den Block.»
Als ich zum Wagen zurückging, klinkte die Haustür auf. Eine ältere Frau steckte den Kopf heraus. Ich kehrte um und fragte fast zitternd, ob noch jemand von den Giffords im Hause wohne.
Sie sah mich gespannt an - als sei ihr ein Geist erschienen, so kam es mir vor - und erwiderte dann: «Ach nein! Sie sind schon vor Jahren woandershin gezogen.»
Die Antwort machte mich stumm.
«Waren Sie mit der Familie bekannt?» fragte sie.
«Mit einem der'Familienmitglieder, aber sie würde sich wohl kaum noch an mich erinnern. Una hieß sie. Wissen Sie vielleicht, was aus ihr geworden ist?»
«Sie sind nach Florida verzogen.» (Sind , sagte sie. Nicht ist.)
«Danke», sagte ich. «Vielen Dank!» Ich nahm den Hut ab wie vor einer barmherzigen Schwester.
Als ich die Hand an die Wagentür legte, rief sie: «Herr, Herr, wenn Sie mehr über Una wissen wollen, in dem Block drüben wohnt eine Dame, die könnte es Ihnen sagen ...»
«Lassen wir's», sagte ich. «Es ist nicht wichtig.»
Die Augen wurden mir feucht, so dumm das war.
«Was ist?» fragte Reb.
«Nichts, nichts. Erinnerungen, weiter nichts.»
Er machte den Handschuhbehälter auf und zog eine Flasche hervor. Ich nahm einen Schluck von dem Allheilmittel. Es war reines Feuerwasser. Ich rang nach Atem.
«Das wirkt immer», sagte er. «Fühlen Sie sich jetzt besser?»
«Ja, danke.» Und im nächsten Augenblick blubberte ich heraus: «Himmel noch mal! Wie man das nur noch so nachfühlen kann! Erstaunlich. Was wäre wohl geschehen, wenn sie herausgekommen wäre - mit ihrem Kind? Es schmerzt noch immer. Fragen Sie mich nicht, warum. Sie gehörte zu mir , mehr kann ich Ihnen nicht sagen.»
«Muß eine ziemliche Sache gewesen sein.» Der Ausdruck ging mir gegen den Strich.
«Nein», sagte ich, «es war von Anfang an eine Fehlgeburt. Ein Meuchelmord. Ich hätte mich ebensogut in die Königin Guinevere verlieben können. Ich rutschte ganz nach unten, verstehen Sie? Es war arg. Ich glaube, ich komme nie darüber weg. Scheiße! Warum davon reden?»
Er sagte nichts dazu, der gute Reb. Er sah geradeaus und gab mehr Gas.
Nach einiger Zeit sagte er kurz und einfach: «Sie sollten einmal darüber schreiben.» Ich erwiderte nur: «Nie! Dafür könnte ich nie die Worte finden.»
An der Ecke vor dem Papierladen stieg ich aus.
«Das wollen wir bald wiederholen, nicht wahr?» sagte Reb und streckte mir seine große, haarige Pratze hin. «Nächstes Mal werde ich Sie mit meinen farbigen Freunden bekannt machen.»
Ich ging die Straße hinab, an den eisernen Anbindepfosten vorbei, den weiten Rasenflächen, den großen Veranden. Ich dachte noch immer an Una Gifford.
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