Nexus
Belesenheit.
Gleichgültig, zu welcher Tageszeit ich bei ihm vorsprach, immer zog er eine Flasche hervor. «Nur ein Schlückchen», sagte er und schwenkte ein Gläschen Schnaps oder ein Glas Wodka. Ich tat ihm den Gefallen und nippte daran. Wenn ich das Gesicht verzog, sagte er: «Den mögen Sie wohl nicht gern, was? Versuchen Sie doch mal einen Korn.»
Eines Morgens, als er mir ein großes Glas von diesem Korn eingeschenkt hatte, trug er mir wieder seinen Wunsch vor, er möchte mir das Autofahren beibringen. «Sie brauchen nur drei Lektionen», sagte er. «Es hat doch keinen Sinn, das Auto unbenutzt in der Garage stehen zu lassen. Wenn Sie einmal Spaß daran gefunden haben, werden Sie ganz versessen darauf sein. Warum sollten Sie nicht einmal Samstag nachmittag mit mir fahren? Zur Bedienung im Laden werde ich schon jemand finden.»
Die Bitte war so dringend, daß ich sie nicht abschlagen konnte.
Am Samstag fand ich mich also bei der Garage ein. Der große, viertürige Buick stand bereits auf der Straße. Mir sank schon das Herz in die Hose, als ich ihn nur sah. Ich war aber nun einmal da und mußte die Sache durchstehen. Ich setzte mich ans Steuerrad, probierte die Kupplung und wurde mit dem Gaspedal und den Bremsen bekannt gemacht. Das war die erste kurze Lektion. Eine weitere Einführung sollte folgen, wenn wir erst aus der Stadt heraus waren.
Am Steuerrad verwandelte sich Reb in eine andere Person. Er nahm eine königliche Haltung an. Wo wir auch waren und worauf wir auch lossteuerten, wir fuhren mit Höchstgeschwindigkeit. Ich übte mich so im Bremsen, daß mir schon halbwegs die Beine weh taten.
«Sehen Sie», sagte er und nahm dabei beide Hände vom Rad weg, um damit in der Luft herumzufahren, «es ist gar nichts dabei. Der Wagen läuft von selbst.» Er nahm den Fuß vom Gaspedal und zeigte mir die Bedienung des Handhebels. Wie bei einer Lokomotive.
Am Stadtrand hielten wir hier und da, um Mietgelder einzukassieren. Reb besaß dort und noch weiter draußen eine Anzahl Häuser, alle in Elendsvierteln und alle von Negern bewohnt. Er müsse die Miete jede Woche einsammeln, erklärte er. Farbige könnten nicht mit Geld umgehen.
Auf einem unbebauten Grundstück in der Nähe armseliger Häuser gab er mir weiteren Unterricht. Ich lernte dort Wenden, plötzliches Anhalten und Parken. Und vor allem das Rückwärtsfahren, das er für sehr wichtig hielt.
Vor Anstrengung floß mir der Schweiß von der Stirn. «Okay», sagte Reb, «nun wollen wir losfahren. Wir werden bald auf die Autostraße kommen, dann werde ich dem Wagen freie Fahrt geben. Er geht wie der Wind - Sie werden sehen. Wenn Sie übrigens Angst bekommen und nicht wissen sollten, was zu tun ist - einfach den Motor abstellen und auf die Bremsen treten.»
Wir kamen zur Autostraße. Er strahlte jetzt übers ganze Gesicht. Er zog die Mütze bis tief zu den Augen hinab. «Festhalten!» rief er — und pfttt! los ging's. Es schien mir, daß wir kaum den Boden berührten. Ich blickte auf den Geschwindigkeitsmesser: hundertvierzig. Er gab noch mehr Gas. «Er kann mit Leichtigkeit hundertsechzig laufen. Nur keine Bange, ich habe ihn in der Hand.»
Ich sagte nichts, spannte nur alle Sehnen an und schloß halb die Augen. Als wir von der Autostraße abbogen, bat ich ihn, ein paar Minuten zu halten, damit ich die Beine ausstrecken und wieder beweglich machen konnte.
«Macht Spaß so was, wie?» rief er.
«Verflixt noch mal.»
«An einem Sonntag, wenn wir die Mieten kassiert haben, führe ich Sie mal zu einem Restaurant, wo es ausgezeichnete junge Enten gibt. Oder wir könnten zur East Side zu einer polnischen Wirtschaft fahren. Oder wie wäre es mit jüdischer Küche? Wohin Sie wollen. Es tut so gut, Sie zum Begleiter zu haben.»
In Long Island City machten wir einen Umweg, um einzukaufen: Heringe, geräucherten Weißfisch, Begels, Lachs, saures Eingemachtes, Roggenbrot, süße Butter, Honig, Hickory- und Walnüsse und sogenannte Negerzehen, große rote Zwiebeln, Knoblauch, Kascha und so weiter.
«Wenn wir sonst nichts tun, essen wir wenigstens gut», sagte er. «Gutes Essen, gute Musik und gute Unterhaltung - was braucht man sonst noch?»
«Eine gute Frau vielleicht», warf ich ziemlich unbedacht ein.
«Eine gute Frau habe ich, nur passen wir im Temperament nicht zueinander. Ich bin ihr zu gewöhnlich. Habe in ihren Augen zuviel von einem Straßenlümmel an mir.»
«So kommen Sie mir nicht vor», sagte ich.
«Ich ziehe meine Hörner ein . . . komme in
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