Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
daß er noch lebt!»
16
    «Warum bemühen wir uns so, das Elend und die Unvollkommenheit unseres Lebens zu beschreiben und Gestalten aus wilden und fernen Gegenden unseres Landes auszugraben?»
    So beginnt Gogol das elfte Kapitel seines unvollendeten Romans.
    Ich war jetzt schon weit in den Roman - meinen eigenen - vorgedrungen, aber ich hatte noch immer keine klare Vorstellung, wohin er mich führte. Das war auch so wichtig nicht, denn Pap war mit allem zufrieden, was er bis jetzt in die Hände bekommen hatte. Das Honorar wurde regelmäßig bezahlt, wir aßen und tranken gut. Vögel gab es jetzt weniger, aber sie sangen noch. Der Erntedanktag kam und ging vorüber, im Schachspiel hatte ich mich vervollkommnet. Überdies hatte niemand entdeckt, wo wir wohnten - mit dem niemand meine ich unsere lästigen Freunde von früher. So konnte ich nach Herzenslust die Straßen erforschen, und ich tat das mit wahrer Wonne, weil die Luft scharf und beißend war, der Wind pfiff und mein immer in Unruhe befindliches Gehirn mich vorwärtstrieb, mich zwang, Straßen, Erinnerungen, Gebäude, Gerüche (verrottender Gemüsehaufen), verlassene Werftgelände, Läden längst verstorbener Krämer, in Filialläden verwandelte Wirtschaften, Friedhöfe, durch die noch der schmale Nachhauch der Trauergemeinde zog, aufs gründlichste zu durchstöbern.
    Die wilden und entfernten Gegenden der Erde lagen mir alle vor der Nase, nur einen Steinwurf von der Grenze unseres aristokratischen Viertels entfernt. Ich brauchte nur die Linie, die Grenze , zu überschreiten, und ich war in der vertrauten Welt meiner Kindheit, dem Land der Armen und der Einfältigen, dem großen Abfallhaufen, wo alles, was zerfallen, nutzlos und verpestet war, von den Ratten verwertet wurde, die sich weigerten, das Schiff zu verlassen.
    Als ich so umherstreifte, in Schaufenster und in Gassen blickte und überall nur traurige Öde sah, dachte ich an die Neger, die wir regelmäßig besuchten. Sie schienen gegen die allgemeine Trostlosigkeit gefeit zu sein. Die Krankheit der Weißen hatte ihr Lachen, ihre Redegabe und ihre Leichtigkeit nicht angegriffen. Sie mußten sich gegen alle unsere Übel und ebenso gegen unsere Vorurteile wehren, aber diese konnten ihnen nichts anhaben.
    Der Besitzer der erotischen Sammlung hatte mich in sein Herz geschlossen. Ich mußte auf der Hut sein, daß er mich nicht in eine Ecke drückte und mich in den Hintern kniff. Damals ließ ich mir noch nicht träumen, daß er eines Tages auch nach meinen Büchern haschen und sie seiner erstaunlichen Sammlung einverleiben würde. Er spielte wunderbar Klavier, das will ich noch hinzufügen. Er hatte die herbe Pedaltechnik, die ich so sehr an Count Basie und Fats Waller liebte. Sie konnten alle ein Instrument spielen, diese liebenswerten Seelen. Und wenn kein Instrument vorhanden war, machten sie Musik mit Fingern und Handflächen - auf Tischplatten, Fässern und allem, was gerade zur Hand war.
    Ich hatte bis jetzt noch keine «ausgegrabenen Gestalten» in dem Roman untergebracht. Ich war noch zu schüchtern. Mehr in Worte verliebt als in psychopathische Scheidenabweichungen. Ich konnte ganze Stunden mit Walter Pater und Henry James verbringen, in der Hoffnung, einen schön gedrechselten Satz ausfindig zu machen. Oder ich konnte mir einen japanischen Druck anschauen wie etwa «Wankelmut» von Utamaro, um eine Brücke zwischen einer unbestimmten, verträumten Fuge eines Bildes und einem lebendigen farbigen Holzschnitt zu schlagen. Ich kletterte ständig im Eilschritt Leitern hinauf, um eine reife Feige von einem überhängenden Baum aus dem Garten der Vergangenheit zu pflücken. Die Illustrationen im Geographie Magazine konnten mich stundenlang verzaubern. Wie sollte ich in dem Roman eine nicht ohne weiteres verständliche Bezugnahme auf eine entfernte und wenig bekannte Gegend Kleinasiens verarbeiten, in der ein Ungeheuer von einem Hethiterkönig eine Kolossalstatue hinterlassen hatte, um sein von Flöhen zerstochenes Ich der Nachwelt zu überliefern? Oder ich grub ein altes Geschichtsbuch aus - Mommsens Römische Geschichte zum Beispiel -, um einen brillanten Vergleich zwischen den Wolkenkratzer-Canyons der Wall Street und den überfüllten Stadtvierteln des kaiserzeitlichen Roms anzustellen. Oder ich interessierte mich für Kanalisation, die großen Kanäle von Paris oder einer anderen Weltstadt, worauf mir einfiel, daß Victor Hugo oder ein anderer französischer Schriftsteller ein solches Thema behandelt

Weitere Kostenlose Bücher