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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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heiraten. Dann wird all dies wie ein Traum sein.»
    Langsam blickte er zu uns auf, zuerst zu Mona, dann zu Stasia und zuletzt zu mir, wie wenn er sagen wollte: «Ihr habt gehört, was ich gesagt habe.»
    «Was für ein glücklicher Mann», sagte er, indem er mich mit festem, gütigem Blick ansah. «Was für ein Glück haben Sie, daß Sie die Freundschaft dieser beiden genießen können. Ich bin noch nicht zum engsten Freundeskreis zugelassen.»
    Dann drehte er sich plötzlich zu Mona hin: «Sie werden es bald satt bekommen, immer geheimnisvoll zu sein. Das ist gerade so, als stünde man den ganzen Tag vor dem Spiegel. Ich sehe Sie von hinten durch den Spiegel hindurch. Das Geheimnis liegt nicht in dem, was Sie tun, sondern in dem, was Sie sind. Wenn ich Sie aus diesem unnatürlichen Leben herausziehe, werden Sie nackt sein wie eine Statue. Jetzt ist Ihre Schönheit nur wie ein Möbelstück, sie wird zuviel hin und her geschoben. Wir müssen sie dorthin bringen, wohin sie gehört - auf den Abfallhaufen. Früher dachte ich, man müsse alles poetisch oder musikalisch ausdrücken. Ich wußte nicht, daß häßliche Dinge ihren Grund und einen entsprechenden Platz haben. Vulgarität war für mich das Schlimmste. Aber jemand, der vulgär ist, kann ehrlich, ja sogar angenehm sein, wie ich entdeckte. Wir brauchen nicht alles bis zu den Sternen emporzuheben. Alles ist aus dem Staub entstanden, selbst Helena von Troja. Niemand, nicht einmal die schönste Frau, sollte sich hinter ihrer Schönheit verstecken ...»
    Während er das in seiner ruhigen und gleichmäßigen Art sagte, flickte er weiter an dem Rock. Das ist der wahre Weise, dachte ich bei mir. Männlich und weiblich gleichmäßig ausgewogen, leidenschaftlich, doch still und geduldig, reserviert, ohne verschlossen zu sein, der geliebten Frau bis auf den Grund der Seele schauend, beständig, ergeben mit fast abgöttischer Verehrung, wenn er auch deutlich selbst ihre geringsten Fehler sah. Eine wahrhaft edle Seele im Sinn Dostojewskis.
    Und sie hatten geglaubt, ich würde gern mit diesem Mann zusammentreffen, weil ich eine Schwäche für Narren hatte!
    Anstatt sich mit ihm zu unterhalten, bestürmten sie ihn mit Fragen, die dazu bestimmt waren, seine lächerlich einfältige Natur zu enthüllen. Diese Fragen beantwortete er in derselben ruhigen Art, als wenn er es mit den sinnlosen Bemerkungen von Kindern zu tun hätte. Während er sich bewußt war, daß seine Erklärungen, die er absichtlich in die Länge zog, ihnen abgrundtief gleichgültig waren, sprach er doch mit ihnen, wie es oft ein Weiser mit einem Kinde tut. Er säte in ihren Geist die Samenkörner, die später aufgehen würden und sie dadurch an ihre Grausamkeit, ihren Eigensinn und ihre Unwissenheit und auch an die heilende Eigenschaft der Wahrheit erinnerten.
    In der Tat waren sie nicht ganz so hart gesotten, wie man wegen ihres Betragens hätte annehmen können. Sie wurden zu ihm hingezogen, ja, man könnte sagen, sie liebten ihn in einer für sie einzigartigen Weise. Kein anderer ihrer Bekannten hätte eine solch aufrichtige Zuneigung, eine so tiefe Achtung in ihnen erwecken können. Sie machten diese Liebe, wenn es Liebe war, nicht lächerlich. Sie waren darüber verblüfft. Sie ähnelte der Liebe, die gewöhnlich nur ein Tier hervorrufen kann, denn nur Tiere sind anscheinend dieser gänzlichen Anerkennung des Menschen und daher einer Hingabe ihres ganzen Wesens fähig, einer bedingungslosen Hingabe übrigens, wie sie selten ein Mensch dem anderen zuteil werden läßt.
    Für mich war es mehr als sonderbar, daß eine solche Szene sich an einem Tisch abspielte, an dem ständig so viel über Liebe geschwafelt wurde. Eben wegen dieser ständigen Ergüsse hatten wir dem Tisch den Namen «Ausgußtisch» gegeben. In welcher anderen Wohnung, so fragte ich mich, konnte es wohl eine so unaufhörliche Verwirrung, ein solches Inferno von Gemütsbewegungen, ein so verheerendes, immer mit Mißstimmung endendes Gerede über Liebe geben? Erst jetzt in Ricardos Gegenwart trat die Wirklichkeit der Liebe hervor. Sonderbarerweise wurde das Wort selbst kaum gebraucht. Aber es war Liebe, nichts anderes, die durch alle seine Gebärden schien, durch alle seine Worte strömte.
    Liebe, sage ich. Es könnte auch Gott gewesen sein.
    Dieser selbe Ricardo, hatte man mir gesagt, sei überzeugter Atheist. Sie hätten ihn ebensogut als überzeugten Verbrecher bezeichnen können. Vielleicht sind alle, die Gott und die Menschen am meisten

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