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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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nicht mehr weiterkonnten, daß die himmlischen Mächte sie verlassen hatten, daß sie für immer verloren, zerbrochen und verraten waren, wenn nicht jemand ihre aus der Not geborene Sprache verstände, ihnen gut zuredete. Jemand mußte ihnen Rede und Antwort stehen, jemand, an den sie sich wenden konnten, der aber selbst so wenig bedeutete, daß selbst ein Wurm nicht gezögert hätte, ihm zu Füßen zu kriechen.
    Und ich war ein solcher Wurm. Der vollkommene Wurm. In der Liebe geschlagen, nicht für den Kampf, sondern zur Erduldung von Beleidigungen und Ungerechtigkeiten gemacht, wurde ich zum Tröster auserwählt. Was für ein Hohn, daß ich, ein Verdammter und Ausgestoßener, ich, der ich gänzlich ungeeignet und ohne jeden Ehrgeiz war, den Platz des Richters einnehmen sollte, eines Richters, dessen Amt es war, zu strafen und zu belohnen, als Vater, Priester, Wohltäter -oder Henker auftreten sollte! Ich, der von der Peitsche getrieben landauf, landab gelaufen war, ich, der die Treppe zu Woolworth im Galopp nehmen konnte, wenn es galt, ein Mittagessen zu schinden - ich, der ich gelernt hatte, nach jeder Melodie zu tanzen, so zu tun, als wäre ich in allen Sparten bewandert, ich, der ich so viele Tritte in den Hintern bekommen hatte, daß mich noch nach weiteren gelüstete, ich, der ich von dem ganzen unsinnigen Zeug nichts verstand, außer daß es falsch, sündhaft und hirnverbrannt war, ausgerechnet ich wurde auserwählt, Weisheit, Liebe und Verständnis auszuteilen. Gott selbst könnte keinen besseren Sündenbock ausgewählt haben. Nur ein verachtetes und einzeln stehendes Mitglied der menschlichen Gesellschaft konnte für diese Rolle geeignet sein. Ehrgeiz habe ich soeben gesagt? Doch, ich hatte welchen, den Ehrgeiz, aus dem Trümmerhaufen zu retten, was ich konnte. Für diese elenden Wichte etwas zu tun, was man für mich nicht getan hatte. Ein wenig Mut in ihre schlaffen Seelen zu blasen. Sie aus der Sklaverei zu erlösen, sie als Menschen zu achten, sie als Freunde zu gewinnen.
    Während diese Gedanken (wie aus einem anderen Leben kommend) mir durch den Kopf zogen, konnte ich nicht umhin, jene Lage, so schwer sie damals erschien, mit der gegenwärtigen zu vergleichen. Damals hatte mein Wort Gewicht, man hörte auf meine Ratschläge. Jetzt hatte nichts, was ich tat oder sagte, die geringste Bedeutung. Ich war der Tölpel, wie er im Buche steht. Was ich auch immer versuchte, was ich auch vorschlug, es wurde alles zu Staub. Selbst wenn ich mich aus Protest auf den Boden legte oder wie ein Fallsüchtiger Schaum vor dem Mund bekäme, so würde das nichts nützen. Ich war ein Hund, der den Mond anbellte.
    Warum hatte ich nicht gelernt, mich ganz auszuliefern wie Ricardo? Warum hatte ich nicht den Zustand vollständiger Demut erreicht? Was wollte ich in dieser verlorenen Schlacht noch erringen?
    Als ich der Farce zuschaute, welche die beiden für Ricardo aufführten, wurde ich mir mehr und mehr der Tatsache bewußt, daß er nicht so angeführt wurde wie ich. Er war sich über meine Haltung im klaren, dafür hatte ich gesorgt. Das war jedoch kaum nötig gewesen, denn ich konnte fühlen: er wußte, daß ich ihn nicht täuschen wollte. Wie wenig ahnte Mona doch, daß unsere gemeinsame Liebe zu ihr uns vereinte und dieses Spiel so lächerlich machte.
    Der wahrhaft Liebende, so dachte ich mir, kann von seinem Busenfreund nie getäuscht oder verraten werden. Was haben sie zu fürchten, zwei brüderliche Geister? Es ist die Furcht der Frau, ihr Zweifel an sich selbst, die allein eine solche Beziehung gefährden könnten. Die geliebte Frau begreift nicht, daß es von Seiten ihrer Anbeter nicht die geringste Spur von Verrat oder Abtrünnigkeit geben kann. Es wird ihr nicht klar, daß nur ihr eigener weiblicher Drang nach Verrat ihre Verehrer so fest vereint, deren besitzgierige Ichs in Schach hält und ihnen erlaubt, das zu teilen, was sie nie teilen würden, wären sie nicht von einer Leidenschaft getrieben, die größer als die Leidenschaft der Liebe ist. Im Bann eines solchen Gefühls liefert sich der Mann völlig aus. Die Frau, die Gegenstand einer solchen Liebe ist, muß eine Art geistigen Taschenspielerkunststücks vollbringen, um diese Liebe aufrechtzuerhalten. Sie wird in tiefster Seele aufgerufen, darauf zu antworten. Und ihre Seele wächst in dem Maße, in dem das Gefühl dafür in ihr erweckt wird.
    Wenn aber der Gegenstand einer so erhabenen Verehrung ihrer nicht würdig ist? Selten ist es der Mann, der von

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