Nexus
solchen Zweifeln gequält wird. Meistens fällt die Frau, die diese seltene und überwältigende Liebe einflößt, dem Zweifel zum Opfer. Das liegt nicht an ihrer weiblichen Natur, sondern eher an einem seelischen Mangel, der erst dann sichtbar wird, wenn sie einer solchen Probe unterworfen wird. Solchen Wesen bleibt, besonders wenn sie mit überragender Schönheit ausgestattet sind, ihre' wirkliche Anziehungskraft unbekannt. Sie sind blind gegen alles außer dem Reiz des Fleisches. Für den Helden der Liebe liegt die Tragödie in der oft mit brutaler Plötzlichkeit auftretenden Erkenntnis, daß Schönheit, obwohl ein Attribut der Seele, in allem anderen außer den Körperformen und Gesichtszügen gänzlich fehlen kann.
6
Tagelang hingen die Nachwirkungen von Ricardos Besuch über mir. Dabei stand Weihnachten vor der Tür, was meine Stimmung noch mehr verdüsterte. Diese Zeit des Jahres war mir nicht nur zuwider, sondern ich fürchtete sie geradezu. Seit dem Eintritt ins Mannesalter hatte ich nie ein gutes Weihnachten gehabt. Wie sehr ich mich auch dagegen wehrte, der Weihnachtstag fand mich immer am Busen der Familie. Da saß nun, in seinem schwarzen Panzer eingeschlossen, der Ritter von der traurigen Gestalt und wurde wie jeder Idiot der Christenheit gezwungen, sich den Bauch vollzustopfen und dem leeren Geschwätz seiner Angehörigen zu lauschen.
Obwohl ich bis jetzt noch nichts über das kommende Ereignis hatte verlauten lassen - wäre es wenigstens die Geburtstagsfeier eines freien Geistes! —, war ich doch neugierig, unter welchen Umständen, in welcher geistigen und seelischen Verfassung wir zwei diesen festlichen Schicksalstag begehen würden.
Ein höchst unerwarteter Besuch Stanleys, der zufällig unsere Adresse entdeckt hatte, vermehrte noch meine Mißstimmung und innere Unruhe. Er war zwar nicht lange geblieben, aber doch lange genug, um ein paar schmerzende Widerhaken in meinem Fleisch zurückzulassen.
Es hatte fast den Anschein, als sei er gekommen, um sich das Bild des Schiffbruchs, das sich bei mir stets seinen Augen bot, noch besser einzuprägen. Er gab sich nicht einmal die Mühe zu fragen, was ich täte, wie Mona und ich durchkämen oder ob ich etwas schriebe oder nicht. Ein Blick auf meine Umgebung genügte, um ihm alles zu sagen. Er faßte seinen Eindruck in die Worte zusammen: «Ziemlich runtergekommen.»
Ich machte keinen Versuch, die Unterhaltung zu beleben. Ich flehte nur innerlich, er möchte so schnell wie möglich wieder gehen, bevor die beiden in ihrer üblichen pseudoekstatischen Stimmung eintrafen.
Aber, wie schon gesagt, er legte keinen Wert auf längeres Verweilen. Gerade als er sich verabschieden wollte, fiel ihm ein großer Bogen Einwickelpapier auf, den ich neben die Tür an die Wand geheftet hatte. Das Licht war so trübe, daß es unmöglich war, die Schriftzeichen auf dem Papier zu lesen.
«Was ist denn das?» fragte er, trat näher an die Wand heran und beschnüffelte das Papier wie ein Hund.
«Das? Nichts», sagte ich. «Nur ein paar Ideen, die mir zufällig eingefallen sind.»
Er riß ein Zündholz an, noch eins und dann noch eins, um das Geschriebene zu lesen. Dann trat er zurück.
«Du schreibst also jetzt Bühnenstücke? Hmm.»
Ich dachte, er würde ausspucken.
«Ich habe nicht einmal begonnen damit», sagte ich beschämt. «Ich spiele nur mit dem Gedanken. Ich werde wahrscheinlich eines schreiben.»
«Das habe ich mir auch gedacht», sagte er, indem er dreinblickte wie ein Totengräber, worauf man bei ihm immer gefaßt sein mußte.
«Du wirst nie ein Stück oder sonst was schreiben, was der Rede wert ist. Du schreibst und schreibst und kommst zu nichts.»
Ich hätte eigentlich wütend werden sollen, war's aber nicht. Ich war zerschmettert. Ich erwartete, er würde jetzt ein bißchen Öl ins Feuer gießen - einige Bemerkungen über den neuen «Liebesroman», den er schrieb. Aber nein, nichts dergleichen. Statt dessen sagte er: «Ich habe das Schreiben aufgegeben. Ich lese nicht einmal mehr. Was hat es für einen Zweck?» Er schüttelte ein Bein und ging auf die Tür zu. Die Hand auf der Klinke sagte er feierlich und hochtrabend: «Wenn ich in deinen Schuhen steckte, würde ich es nie aufgeben, auch nicht, wenn alles gegen mich wäre. Ich sage nicht, daß du ein Schriftsteller bist, aber...» Er zögerte eine Sekunde, um es ja richtig hinzubringen. «Aber das Glück ist dir günstig.»
Eine Pause, gerade lang genug, um das Fläschchen mit Vitriol zu füllen.
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