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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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verlassen.
    Als ob sie mich um Verzeihung bitten wollte, stellte Mona am nächsten Tag das Ansinnen an mich, ich möchte sie einmal allein ausführen - ohne Stasia. Ich ging zuerst nicht darauf ein, aber sie ließ nicht locker. Ich dachte mir, sie müßte dafür einen besonderen Grund haben, den sie mir zum richtigen Zeitpunkt schon mitteilen würde, und darum stimmte ich schließlich zu. Wir setzten den Termin auf den übernächsten Abend fest.
    Der Abend kam, aber als wir gehen wollten, konnte sie sich nicht entschließen. Ich hatte allerdings an ihrem Äußeren etwas auszusetzen gehabt - die Lippen waren mir zu rot, die Lider waren grün, die Wangen weiß gepudert, der Umhang schleifte hinten über den Boden, der Rock war so kurz, daß man die Knie sah, aber vor allem reizte mich die Puppe, dieser hämisch und pervers dreinblickende Graf Bruga, den sie an die Brust drückte und mitnehmen wollte.
    «Nein», sagte ich, «den nicht, mein Gott!»
    «Wieso?»
    «Weil... gottverdammt, nein!»
    Sie übergab den Grafen Stasia, legte ihr Cape ab und setzte sich hin, um sich die Sache zu überlegen. Durch Erfahrung gewitzigt, wußte ich, daß damit der Abend ins Wasser gefallen war. Zu meiner Überraschung jedoch kam Stasia herbei, schloß uns beide in die Arme - wie eine große mütterliche Schwester - und bat uns, nicht zu streiten. «Geht», sagte sie, «amüsiert euch gut.» Sie schob uns beinahe zur Tür hinaus, und als wir auf der Straße waren, rief sie noch hinter uns her: «Viel Vergnügen. Amüsiert euch gut.»
    Es war ein lahmer Anfang, aber wir waren entschlossen, den Abend durchzustehen. Warum gingen wir eigentlich so schnell? Mir war, als würde ich explodieren. Aber ich konnte kein Wort herausbringen, die Zunge war mir gelähmt. Da eilten wir nun Arm in Arm dahin, um uns zu «amüsieren», aber wir wußten nicht einmal, wie und wo, denn wir hatten keinen festen Plan. Wollten wir nur Luft schnappen?
    Plötzlich merkte ich, daß wir auf dem Weg zur U-Bahn waren. Wir trippelten hinunter, warteten auf einen Zug, stiegen ein und setzten uns. Bis jetzt hatten wir noch kein Wort gewechselt. Am Times Square erhoben wir uns, wie Roboter, die auf dieselbe Wellenlänge eingestellt sind, und stapften die Treppe hinauf. Broadway . . . Derselbe alte Broadway, dieselbe flammende Neonhölle.- Instinktiv stürmten wir nordwärts. Die Leute blieben stehen und sahen uns nach. Wir taten, als ob wir es nicht bemerkten.
    Schließlich standen wir vor Tschin Lis Restaurant. «Sollen wir hineingehen?» fragte sie. Ich nickte. Sie ging direkt auf die Nische zu, in der wir an jenem ersten Abend gesessen hatten - vor tausend Jahren.
    Als das Essen aufgetragen wurde, lockerte sich ihre Zunge. Alles kam ihr wieder: die Speisen, die Art, wie wir uns ansahen, die Melodien, denen wir lauschten, die Geständnisse, die wir uns machten . .. keine Einzelheit war vergessen.
    Eine Erinnerung weckte die andere. Wir wurden immer sentimentaler. «Mich noch einmal verlieben, nein, das wollte ich nicht. . . Was sollte ich tun?» Es war, als wäre inzwischen nichts geschehen - als hätte es keine Stasia gegeben, kein Kellerdasein, keine Mißverständnisse. Nur uns zwei, ein zärtliches Taubenpaar, ewige Liebe und ewiges Leben.
    Aber was war es in Wirklichkeit? Eine Generalprobe. Morgen würden wir unsere Rollen vor vollbesetztem Haus spielen.
    Hätte man mich gefragt, welches nun die wahre Wirklichkeit wäre, dieser Liebestraum, dieses holde Schlummerlied oder das handfeste Drama, das der Anlaß dazu war, so würde ich geantwortet haben:
    «Dies! Dies! Dies ist die Wirklichkeit.»
    Traum und Wirklichkeit - sind sie nicht vertauschbar?
    Wir waren außer uns, ließen unseren Zungen freien Lauf, sahen einander mit neuen Augen an, mit Augen, die hungriger und gieriger waren als je zuvor, glaubten einander, gelobten uns Treue, als wäre es unsere letzte Stunde auf Erden. Endlich hatten wir uns gefunden, verstanden uns und würden uns immer und ewig lieben.
    Noch taufrisch, noch schwindlig vor lauter Seligkeit gingen wir Arm in Arm fort und wanderten durch die Straßen. Niemand blieb stehen, um uns nachzusehen.
    In einem brasilianischen Cafehaus nahmen wir den Dialog wieder auf. Hier floß der Strom der Gefühle schon nicht mehr so schnell und gleichmäßig dahin. Zögernd gaben wir, von Schuld und Gewissensbissen getrieben, dies und jenes zu. Alles, was sie getan hatte - und sie hatte Schlimmeres getan als ich ahnte -, war nur geschehen, weil sie fürchtete,

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