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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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unverkennbar Stasias Handschrift. Es begann mit den Worten: «Ich bin verzweifelt, Liebste . . .»
    «Steck es weg», sagte Curley. «Du kannst es später vielleicht einmal brauchen.» Er stopfte die anderen Papiere wieder in das Kästchen. Dann gab er seinem Freund den Auftrag, das Schloß wieder so zu richten, wie es vorher gewesen war. «Sieh zu, daß auch das Kofferschloß wieder richtig funktioniert. Sie sollen keinen Verdacht schöpfen.»
    Dann machten sie sich wie Bühnenarbeiter daran, in dem Zimmer wieder die ursprüngliche Unordnung herzustellen. Selbst den Brotresten schenkten sie ihre Aufmerksamkeit. Sie stritten sich eine Weile, ob ein bestimmtes Buch geöffnet oder ungeöffnet auf dem Boden gelegen hatte.
    Als wir das Zimmer verließen, behauptete Curleys Freund, die Tür sei angelehnt, nicht geschlossen gewesen.
    «Das ist Wurst», sagte Curley. «Daran werden sie sich doch nicht mehr erinnern.»
    Diese Bemerkung schien mir nicht zutreffend. «Woher weißt du das so sicher?» fragte ich.
    «Ich vermute es nur», erwiderte er. «Du würdest dich sicher nicht daran erinnern, wenn du nicht einen Grund gehabt hättest, die Tür angelehnt zu lassen. Was für einen Grund könnte sie gehabt haben? Keinen. Das ist doch ganz einfach.»
    «Zu einfach», sagte ich. «Man erinnert sich oft ohne Grund an unbedeutende Dinge.»
    Er meinte dazu, wer in Schmutz und Unordnung lebe, könne unmöglich ein gutes Gedächtnis haben. «Denk an einen Dieb, der weiß, was er tut, selbst wenn er einen Fehler macht. Er muß genau auf alles achten. Das muß er tun, wenn er nicht in die Scheiße geraten will. Frag den da!»
    «Er hat recht», sagte sein Freund. «Ich habe den Fehler gemacht, zu sehr aufzupassen.» Er wollte mir die Geschichte erzählen, aber ich bat die beiden dringend, jetzt zu gehen. «Das wollen wir uns für das nächste Mal aufsparen», sagte ich.
    Als er bereits auf der Straße war, drehte sich Curley um und versicherte mir, ich könne jederzeit auf seine Hilfe zählen. «Wir werden sie schon zurechtbiegen», sagte er.

5
    Mein Zustand ähnelte den Stadien eines Rauschgifttraumes. Kein Wunder bei der ständigen Eingeweideschau, der Entwirrung von Lügen, der Sauferei mit Osiecki, den einsamen nächtlichen Wanderungen am Wasser, den Zusammenstößen mit den Bibliotheksbeamten, den Wandmalereien, den Dialogen, die ich in der Dunkelheit mit meinem anderen Selbst führte, und so weiter. Nichts konnte mich mehr überraschen, nicht einmal das Erscheinen eines Sanitätswagens. Irgend jemand, wahrscheinlich Curley, hatte diesen Einfall gehabt, um mich von Stasia zu befreien. Glücklicherweise war ich allein, als der Wagen vorfuhr. Die angegebene Adresse sei falsch, hier gäbe es keine Geistesgestörten, sagte ich dem Fahrer. Er schien enttäuscht zu sein. Jemand hatte telefoniert, er solle ein Mädchen abholen. Ein Mißverständnis, erklärte ich.
    Dann und wann kamen die Holländerinnen, zwei Schwestern, denen das Haus gehörte, herunter und blieben ein paar Minuten. Nie dauerte ihr Besuch länger. Ich sah sie immer nur unfrisiert und unordentlich angezogen. Die eine trug blaue Strümpfe und die andere rot und weiß gestreifte. Die Streifen liefen spiralförmig, so daß man an die Aussteckstange eines Barbiers denken mußte.
    Aber ich möchte noch von dem Stück Die Gefangene erzählen ... Ich sah es mir allein an, ohne ihnen das mitzuteilen. Eine Woche später gingen sie hinein. Als sie zurückkamen, hatten sie Veilchensträuße in der Hand und sangen. Diesmal war es «Nur ein Kuß im Dunkeln».
    Dann gingen wir eines Abends alle drei - wie war das nur möglich? - in ein griechisches Restaurant. Dort rückten sie endlich mit ihrer Meinung über Die Gefangene heraus. Es sei ein wundervolles Stück, ich müßte es mir unbedingt ansehen, vielleicht würde es meinen Horizont erweitern. «Ich habe es schon längst gesehen», sagte ich, «schon vor einer Woche.» Dann begann eine Diskussion über das Stück, die fast in eine Rauferei ausartete, weil ich nicht derselben Meinung war wie sie, weil ich angeblich alles in prosaischer, vulgärer Weise auslegte. Mitten in dieser hitzigen Auseinandersetzung zog ich den Brief hervor, den wir aus dem Kästchen geklaut hatten. Sie waren nicht etwa betroffen oder kleinlaut, sondern fielen mit solcher Wut über mich her und machten einen solchen Krach und Stunk, daß bald das ganze Restaurant in Aufruhr war und wir, nicht allzu höflich, aufgefordert wurden, das Lokal zu

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