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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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getan hatte, was zuerst und was zuletzt kam. Je weiter wir in den Stoff eindrangen, desto wahrer und realistischer wurde alles, da ich sie listigerweise in Szenen auftreten ließ, bei denen ich nie zugegen gewesen war. Sie waren dann verdutzt über die Vorgänge, die sie selbst zugaben, über die Schilderung ihrer Heimlichkeiten. Mancher dieser Treffer ins Schwarze brachte sie so aus der Fassung, daß sie sich gegenseitig des Verrats beschuldigten. Manchmal warfen sie mir vor, ohne sich der Bedeutung ihrer Worte bewußt zu sein, daß ich sie aushorchte, sie durch das Schlüsselloch belauschte und dergleichen mehr. Oder sie sahen sich verdutzt an, weil sie sich nicht klarwerden konnten, ob sie wirklich gesagt und getan hatten, was ich ihnen unterstellte. Aber wie sehr sie auch meine Auslegung ihrer Taten verabscheuten, sie waren Feuer und Flamme, sie wollten mehr und mehr hören. Es war, als sähen sie sich selbst auf der Bühne ihre wahren Rollen spielen. Es war unwiderstehlich.
    Wenn sie so richtig im Schwung waren, ließ ich sie absichtlich hängen, indem ich Kopfweh vorschützte oder sagte, mein Gehirn gäbe nichts mehr her oder das ganze verdammte Zeug sei nichts wert und es habe keinen Zweck, noch weitere Zeit darauf zu verschwenden. Das machte sie nun ganz verdattert. Um mich wieder in gute Stimmung zu versetzen, brachten sie, wenn sie heimkamen, immer etwas Leckeres zu essen und zu trinken mit. Sie kauften mir sogar Havannazigarren.
    Um ein wenig Abwechslung in die Tortur zu bringen, behauptete ich wohl, kaum daß wir mit der Arbeit begonnen hatten, ich hätte an diesem Tage schon ein außergewöhnliches Erlebnis gehabt, und dann ließ ich mich wie geistesabwesend in eine ausführliche Schilderung eines erfundenen Abenteuers ein. Eines Abends teilte ich ihnen mit, wir müßten die Arbeit an dem Stück eine Weile aufschieben, weil ich in einem Cabaret eine Stelle als Portier angenommen hätte. Sie waren entsetzt. Ein paar Tage später erklärte ich, ich hätte die Stelle aufgegeben und eine andere als Liftboy angenommen. Sie fanden das abscheulich.
    Eines Morgens erwachte ich mit dem festen Entschluß, mir eine Stelle zu suchen, besser gesagt, eine Lebensstellung. Ich hatte keine klare Vorstellung, was das für eine Stelle sein sollte, nur mußte sich die Mühe lohnen, es mußte etwas Außerordentliches sein. Beim Rasieren kam mir der Gedanke, dem Direktor eines Kettenladenkonzerns einen Besuch abzustatten und ihn zu bitten, einen Platz für mich frei zu machen. Von früheren Beschäftigungen wollte ich nichts sagen, ich wollte in erster Linie den Umstand betonen, daß ich Schriftsteller war, freier Schriftsteller, der das Verlangen hatte, der Gesellschaft seine Talente zur Verfügung zu stellen. Ein weitgereister junger Mann, der es müde war, in der Welt herumzubummeln, der sich sehnte, seine Arbeitskraft einzusetzen und bei einer im Kommen befindlichen Organisation wie der ihrigen eine Dauerstellung zu finden. (Die Kettenläden waren damals erst im Enstehen.) Wenn man mir eine Chance gäbe, könnte ich ihnen zeigen ... hier ließ ich meiner Phantasie freien Lauf.
    Beim Ankleiden überlegte ich mir die Ansprache, mit der ich Mr. W. H. Higginbotham, Präsident der Hobson and Holbein Kettenladen-Gesellschaft begrüßen wollte. (Hoffentlich war er nicht taub!)
    Ich ging ziemlich spät fort, aber geschniegelt und gebügelt und voll Optimismus. Ich klemmte eine Aktentasche unter den Arm, die Stasia gehörte, ohne den Inhalt zu prüfen. Ich wollte «geschäftstüchtig» aussehen.
    Es war ein bitterkalter Tag. Das Hauptbüro war in einem Lagerhaus nicht weit vom Gowanus-Kanal. Es dauerte entsetzlich lange, bis man dorthin kam. Als ich aus dem Omnibus stieg, fing ich an zu laufen. Mit rosigen Wangen und frostigem Atem kam ich zum Eingang des Gebäudes. Ich schlich durch die ehrfurchterweckende Eingangshalle und bemerkte ein großes Schild über der Auskunfttafel. «Einstellungsbüro nur bis 9.30 Uhr geöffnet.» Es war bereits elf. Als ich die Tafel studierte, fiel mir auf, daß mich der Fahrstuhlmann sonderbar beäugte. Ich ging auf den Aufzug zu. Der Mann zuckte mit dem Kopf nach dem Schild und sagte: «Haben Sie das gelesen?»
    «Ich suche keine Stelle», sagte ich. «Ich habe eine Verabredung mit Mister Higginbothams Sekretär.»
    Er sah mich durchdringend an, sagte aber nichts mehr. Er schlug die Tür zu, und der Lift stieg langsam nach oben.
    «Achter Stock, bitte.»
    «Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. In

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