Nexus
dies wie einen Klumpen, der einem im Halse steckt. Wir waren jetzt zu der Höhe der Brückenbiegung gekommen, wo wir stehenbleiben und einen Blick auf die zurückweichenden Wolkenkratzer warfen.
«Wie ich diese Stadt hasse!» brach es aus ihr hervor. «Gleich bei meiner Ankunft habe ich sie gehaßt. Schau dir diese Bienenstöcke an», sagte sie, indem sie auf die Wolkenkratzer wies. «Unmenschlich, was?» Mit ausgestrecktem Arm machte sie eine Geste, als wolle sie das ganze Bild wegwischen. «Wenn es in diesem Haufen aus Stein und Stahl einen einzigen Dichter gibt, traue ich meinen Sinnen nicht mehr. Nur Ungeheuer können in diesen Käfigen wohnen.» Sie trat näher an die Brüstung und spuckte in den Fluß. «Selbst das Wasser ist schmutzig. Besudelt.»
Wir wandten uns ab und setzten unseren Marsch fort.
«Weißt du», sagte sie, «ich bin nämlich mit Dichtkunst aufgepäppelt. Whitman, Wordsworth, Amy Lowell, Pound, Eliot... Ich konnte einmal lange Gedichte hersagen, besonders Whitman. Jetzt kann ich nur noch mit den Zähnen knirschen. Ich muß wieder nach Westen, und zwar sobald wie möglich. Joacquin Miller ... hast du den je gelesen? Der Dichter der Sierras. Ja, ich will wieder nackt gehen und mich an den Bäumen reiben. Was die Leute darüber denken, ist mir gleich ... Ich kann mich in einen Baum verlieben, aber nicht in diese schmutzigen Wesen in Hosen, die aus diesen scheußlichen Gebäuden kriechen. Ich habe nichts gegen Männer - unter freiem Himmel. Aber hier - mein Gott! Ich will lieber masturbieren als mit einem von ihnen ins Bett kriechen. Ein solches Gezücht! Sie stinken.»
Sie schien sich jetzt in hysterische Wut zu reden. Plötzlich jedoch wurde sie ruhig. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Ja, sie sah fast engelhaft aus.
«Ich werde mir ein Pferd anschaffen», sagte sie jetzt, «und mit ihm in die Berge reiten. Vielleicht lerne ich dort wieder beten. Als junges Mädchen bin ich oft von daheim weg in die Einsamkeit gegangen und manchmal tagelang ausgeblieben. Unter den hohen Mammutbäumen sprach ich mit Gott. Ich hatte kein bestimmtes Bild von ihm, er war nur gewaltig gegenwärtig. Ich erkannte Gott überall, in allem. Wie schön war die Welt damals für mich! Ich floß von Liebe und Güte über. Und so nahe war ich den Dingen. Oft sank ich in die Knie - um eine Blume zu küssen. ‹Du bist so vollkommen!› sagte ich zu ihr, ‹so selbstgenügsam. Du brauchst nur Sonne und Regen. Und was du brauchst, bekommst du, ohne zu bitten. Du verlangst nie Unerreichbares, nicht wahr, kleines Veilchen? Du willst nie etwas anderes sein, als was du bist.› So sprach ich mit den Blumen. Ja, ich verstand mit der Natur umzugehen. Und es war alles vollständig natürlich. Wirklich. Beängstigend wirklich.»
Sie hielt ein und sah mich forschend an. Sie hatte jetzt ein noch engelhafteres Aussehen als vorher. Selbst mit einem verrückten Hut wäre sie in meinen Augen ein Seraph gewesen. Als sie dann im Ernst ihr Herz ausschüttete, veränderte sich ihr Gesicht wieder. Aber der Strahlenkranz war noch immer da.
Die Kunst, so vertraute sie mir an, habe sie aus der Bahn geworfen. Jemand habe ihr in den Kopf gesetzt, sie sei eine Künstlerin. «Aber das stimmt durchaus nicht. Talent hatte ich immer, und es zeigte sich schon früh. Aber in meinen Versuchen war nichts Außergewöhnliches. Ein Körnchen Talent hat jeder unverbogene Mensch.»
Sie wollte mir klarmachen, wie die Veränderung vor sich ging, wie ihr die Kunst bewußt wurde und sie sich selbst als Künstlerin fühlte. War es deshalb, weil sie anders als ihre Umgebung war? Weil sie mit anderen Augen in die Welt blickte? Sie war sich nicht sicher. Aber sie wußte, eines Tages geschah es. Sozusagen über Nacht hatte sie ihre Unschuld verloren. Von da an, sagte sie, habe alles ein anderes Aussehen angenommen. Die Blumen sprachen nicht mehr mit ihr oder sie mit ihnen. Wenn sie die Natur betrachtete, sah sie diese als Gedicht oder Landschaft. Sie war nicht mehr eins mit der Natur. Sie hatte begonnen zu analysieren, dann die Stücke wieder zusammenzusetzen und alles ihrem Willen unterzuordnen.
«Was für eine Törin war ich! Im Nu war ich aus meinen Schuhen herausgewachsen. Die Natur genügte mir nicht mehr. Ich sehnte mich nach dem Leben in der Stadt. Ich betrachtete mich als kosmopolitischen Geist. Mich überkam der gebieterische Drang, in der Nähe anderer Künstler zu sein, meinen Gesichtskreis im Gespräch mit Intellektuellen zu erweitern. Mich hungerte,
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