Nexus
hatte sich verändert, seitdem Mona und ich hier lustwandelten. Mit Mühe fand ich das Haus wieder, wo ich sie einmal gegen die Wand gestellt hatte. Die leere Parzelle, auf der wir uns halb um den Verstand gefickt hatten, war nicht mehr leer. Überall neue Häuser, neue Straßen. Weiter trottete ich umher. Diesmal ging ich mit einer anderen Mona spazieren, mit der fünfzehnjährigen tragedienne , deren Foto ich vor ein paar Minuten zum erstenmal erblickt hatte. Wie auffallend war sie doch schon in diesem linkischen Alter gewesen! Was für eine Reinheit in ihrem Blick! So freimütig, so wißbegierig, so gebieterisch!
Ich dachte an die Mona, auf die ich vor dem Tanzlokal gewartet hatte. Ich versuchte, die beiden zusammenzubringen. Es gelang mir nicht. Ich wanderte durch die öden Straßen, an jedem Arm eine. Keine von beiden existierte mehr. Vielleicht ich auch nicht.
10
Selbst einem so ausgemachten Tölpel wie mir war es klar, daß wir drei nie zusammen nach Paris kommen würden. Als ich daher einen Brief von Tony Marella erhielt, ich solle mich in einigen Tagen zur Arbeit melden, ergriff ich die Gelegenheit, ihnen reinen Wein einzuschenken. In einer offenen Aussprache, wie wir sie lange nicht mehr gehabt hatten, schlug ich vor, daß es für sie vielleicht besser sei, wenn sie die Reise allein anträten, sobald ihre Kasse es erlaubte, und mich später nachkommen ließen. Nachdem ich jetzt Aussicht auf Arbeit hätte, könnte ich bei meinen Leuten wohnen und Geld für meine eigene Überfahrt zurücklegen. Oder, wenn es nötig sei, könnte ich ihnen ein paar Kröten schicken. Im stillen konnte ich mir nicht vorstellen, daß auch nur einer von uns in den nächsten Monaten nach Europa fahren würde. Vielleicht kamen wir nie dorthin.
Man brauchte kein Gedankenleser zu sein, um zu merken, wie erleichtert sie waren, daß ich sie nicht begleiten wollte. Mona wollte mir natürlich ausreden, zu meinen Eltern zu ziehen. Wenn ich hier nicht bleiben könne, solle ich bei Ulric kampieren. Ich tat so, als wollte ich mir das überlegen.
Jedenfalls schien dieses herzliche Gespräch ihnen neuen Auftrieb zu geben. Jeden Abend kamen sie jetzt mit guten Nachrichten heim. Alle ihre Freunde, sogar die Schmarotzer, hatten ihnen versprochen, zum Reisegeld beizusteuern. Stasia hatte ein kleines französisches Lehrbuch für Umgangssprache gekauft. An mir fand sie ein williges Objekt, mit dem sie die idiotischen Redewendungen einüben konnte. Madame, avez-vous une chambre à louer? A quel prix, s'il vous plait? Y a-t-il de l'eau courante? Et du chauffage central? Oui? C'est chic. Merci bien, madame . Und so weiter. Oder sie fragte mich, ob ich den Unterschied zwischen une facture und l'addition kenne. L'ceil war das Singular für Auge, les yeux der Plural. Komisch, was? Wenn das Eigenschaftswort sacre vor dem Hauptwort stand, hatte es eine ganz andere Bedeutung, als wenn es nach dem Hauptwort stand. Was weißt du darüber? Sehr interessant, wie? Aber ich pfiff auf solche Kniffligkeiten. Ich würde Französisch lernen, wenn es an der Zeit war, auf meine eigene Weise.
In den Stadtplan, den sie gekauft hatte, war hinten eine Karte der Metrolinien eingeheftet. Das faszinierte mich. Sie zeigte mir, wo Montmartre und Montparnasse lagen. Sie würden wahrscheinlich zuerst nach Montparnasse gehen, weil dort die meisten Amerikaner waren. Sie zeigte mir auch den Eiffelturm, den Jardin du Luxembourg, den Flohmarkt, die Hallen und den Louvre.
«Wo ist Moulin Rouge?» fragte ich.
Sie mußte im Namensverzeichnis nachschlagen.
«Und die Guillotine - wo haben sie die aufgestellt?»
Darauf konnte sie keine Antwort geben.
Mir fiel auf, wie viele Straßen nach Dichtern und Schriftstellern benannt waren. Wenn ich allein war, breitete ich die Karte aus und studierte die Straßen, die nach den berühmtesten benannt waren: Rabelais, Dante, Balzac, Cervantes, Victor Hugo, Villon, Verlaine, Heine . . . Dann kamen die Philosophen, die Historiker, die Wissenschaftler, die Maler, die Musiker - und schließlich die großen Kriegshelden. Historische Namen ohne Ende. Was man da lernt, dachte ich mir, wenn man nur einen Spaziergang durch die Stadt macht! Man stelle sich vor, man stößt auf eine Straße oder einen Platz oder auch nur einen Impasse , die den Namen des Vercingetorix tragen! (In Amerika hatte ich nie eine Straße gesehen, die nach Daniel Boone benannt war, obschon es vielleicht in Süddakota eine solche geben konnte.)
Es war da eine Straße, die Stasia
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