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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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in Verlegenheit, wie ich mich ausdrücken sollte, ohne ihn zu tief zu verletzen. Das sei schwer zu erklären, sagte ich.
    «Sie brauchen nicht damit zurückzuhalten. Ich kann es ertragen.»
    «Ja, sehen Sie.. . Wir wohnen hier zu dritt. Das Zeug, das Sie da an den Wänden sehen - das stammt von der anderen. Sie ist ungefähr in demselben Alter wie Ihre Schwester. Eine exzentrische Person, die anscheinend von Ihrer Schwester vergöttert wird.» (Es klang seltsam, als ich «Ihre Schwester» sagte.) «Manchmal habe ich das Gefühl, daß ihr mehr an dieser Freundin gelegen ist als an mir. Dann herrscht hier dicke Luft, verstehen Sie?»
    «Ich verstehe», sagte er. «Aber warum werfen Sie dann diese Freundin nicht hinaus?»
    «Das ist es. Ich kann es nicht . Ich habe es schon versucht, aber es geht nicht. Wenn sie nicht mehr hier ist, wird Ihre Schwester ihr nachlaufen.»
    «Das überrascht mich nicht. Es sieht ihr ganz ähnlich. Ich glaube zwar nicht, daß sie lesbisch ist. Sie sucht nur Verwicklungen, liebt alles, was sensationell ist.»
    «Warum glauben Sie, sie sei in diese andere Person nicht verliebt? Sie sagten selbst, Sie hätten sie in den letzten Jahren kaum gesehen . ..»
    «Sie ist eine Frau, die einen Mann braucht», sagte er. «Das weiß ich.»
    «Sie scheinen das sehr genau zu wissen.»
    «Ja. Fragen Sie mich nicht, warum. Vergessen Sie nicht, ob sie es nun zugibt oder nicht, sie hat jüdisches Blut in den Adern. Jüdinnen sind treu, selbst wenn sie merkwürdig sind und Streunerinnen, wie diese. Es liegt im Blut...»
    «Tut gut, das zu hören. Hoffentlich stimmt es auch.»
    «Wissen Sie, was ich glaube? Sie sollten uns einmal besuchen und mit Mutter sprechen. Sie würde sich sehr freuen, Sie kennenzulernen. Sie hat keine Ahnung, was für einen Mann ihre Tochter geheiratet hat. Jedenfalls würde sie Ihnen offen ihre Meinung sagen. Das würde ihr guttun.»
    «Ich komme vielleicht mal. Die Wahrheit kann nicht weh tun. Übrigens bin ich sehr neugierig, wie ihre richtige Mutter aussieht.»
    «Gut», sagte er. «Machen wir doch gleich einen Tag fest.»
    Ich nannte einen, ein paar Tage später. Wir gaben uns die Hand.
    Als er unter der Tür stand, sagte er: «Sie brauchte mal eine tüchtige Tracht Prügel. Aber das bringen Sie wohl nicht fertig, wie?»
    Ein paar Tage später klopfte ich an die Tür ihres Hauses. Es war Abend, die Essenszeit bereits vorüber. Monas Bruder öffnete mir. (Er erinnerte sich wohl kaum, daß er vor ein paar Jahren, als ich zu diesem Hause kam, um zu sehen, ob Mona wirklich hier wohnte oder ob sie eine falsche Adresse angegeben hatte, mir die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte.) Jetzt war ich drinnen. Es war mir sonderbar zumute. Wie oft hatte ich versucht, mir das Innere des Hauses vorzustellen, ihr Zuhause ... sie mir inmitten der Familie vorzustellen, als Kind, als junges Mädchen, als Erwachsene.
    Ihre Mutter kam mir entgegen und begrüßte mich. Dieselbe Frau, die ich vor Jahren einmal kurz beobachtet hatte, wie sie Wäsche aufhing. Als ich sie damals Mona beschrieb, lachte sie mir ins Gesicht. («Das war meine Tante!»)
    Jetzt sah ich dieser Frau in das traurige, abgehärmte Gesicht. Sie sah aus, als hätte sie seit Jahren nicht mehr gelacht oder gelächelt. Sie sprach mit einer Art Akzent, aber ihre Stimme war angenehm. Sie erinnerte mich jedoch nicht an Monas Stimme. Auch im Gesicht konnte ich keine Ähnlichkeit entdecken.
    Es sah ihr gleich — warum, kann ich nicht sagen -, daß sie sofort zur Sache kam. War sie die richtige Mutter oder die Stiefmutter? (Das war ihr tiefer Kummer.) Sie entnahm aus einer Kommodenschublade einige Urkunden. Eine war ihre Heiratsurkunde. Eine andere Monas Geburtsschein. Dann Fotos - der ganzen Familie.
    Ich setzte mich an den Tisch und studierte diese Papiere aufmerksam. Nicht weil ich vermutete, sie könnten unecht sein. Ich war erschüttert. Zum erstenmal hatte ich hier Tatsachen in der Hand.
    Ich schrieb mir den Namen des Karpatendorfes auf, in dem ihre Eltern geboren waren. Ich sah mir genau das Bild des Hauses an, in dem sie in Wien gewohnt hatten. Lange und liebevoll betrachtete ich alle Bilder Monas. Mona als Wickelkind, dann das fremdartige ausländische Kind mit den langen schwarzen Locken und schließlich die fünfzehnjährige Rejane oder Modjeska in einem grotesken Kleid, das jedoch ihre Persönlichkeit hervorhob. Dann kam ihr Vater an die Reihe, der sie so geliebt hatte. Ein hübscher, vornehm aussehender Mann. Er hätte Arzt,

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