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Nexus

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Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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mir gezeigt hatte und die ich vor allem behielt: es war die Straße, in der die Kunstakademie Beaux Arts lag. (Sie hoffe, dort eines Tages zu studieren, sagte sie.) Der Name dieser Straße war Bonaparte. (Damals hatte ich noch keine Ahnung, daß dies die erste Straße sein sollte, in der ich nach meiner Ankunft in Paris wohnen würde.) In einer Seitenstraße, die von ihr abzweigte - der rue Visconti —, hatte Balzac einst einen Verlag gehabt, ein Unternehmen, das ihn für viele Jahre an den Rand des Ruins brachte. In einer anderen Nebenstraße, die ebenfalls von der rue Bonaparte abzweigte, hatte Oscar Wilde gewohnt.
    Es kam der Tag, an dem ich mich zur Arbeit melden mußte. Es war eine lange, sehr lange Fahrt bis zum Büro der Parkverwaltung. Tony wartete auf mich mit offenen Armen.
    «Du brauchst dir dabei nicht die Arme auszureißen», sagte er und meinte damit als Grubenausheber oder Totengräber: «Fang erst einmal an, niemand wird dich kontrollieren.» Er gab mir einen herzlichen Klaps auf den Rücken. «Eine Schaufel wirst du schon halten können, nicht wahr? Und eine Schubkarre voll Erde auch, was?»
    «Sicher», sagte ich, «selbstverständlich.»
    Er stellte mich dem Vorarbeiter vor und sagte ihm, er solle mich nicht zu hart hernehmen. Dann ging er wieder ins Büro. In einer Woche, sagte er, würde ich bei ihm im Büro des Direktors arbeiten.
    Die Leute waren freundlich zu mir, wahrscheinlich wegen meiner weichen Hände. Sie gaben mir nur die leichteste Arbeit. Die hätte auch ein Junge leisten können.
    Der erste Tag gefiel mir sehr. Wie gut tat einem doch körperliche Arbeit! Und dazu die frische Luft, der Geruch der Erde, der Gesang der Vögel. Da lernte man den Tod von einer neuen Seite kennen. Wie mußte einem zumute sein, der sein eigenes Grab schaufelte? Schade, daß wir nicht alle an diesem oder jenem Punkt unseres Lebens uns dieser Aufgabe unterziehen müssen! Man lag vielleicht bequemer in einem Grab, das man sich mit eigenen Händen geschaufelt hatte.
    Was für einen Appetit hatte ich, als ich an diesem Abend nach Hause kam! Ich hatte mich in dieser Hinsicht zwar nie zu beklagen gehabt. Sonderbar, nach Hause zu kommen wie Hinz und Kunz und eine gute Mahlzeit vorzufinden, die man nur zu verschlingen brauchte. Blumen standen auf dem Tisch, und auch eine Flasche vortrefflichen französischen Weines. Sicher fanden nur wenige Totengräber einen so reichlich gedeckten Tisch vor, wenn sie heimkamen. Ein Totengräber emeritus , das war ich. Ein Shakespearescher Totengräber. Prosit!
    Natürlich war es die erste und letzte Mahlzeit dieser Art. Aber es war doch eine schöne Geste. Schließlich verdiente ich keine besondere Hochachtung oder Aufmerksamkeit, weil ich einen Tag tüchtig gearbeitet hatte.
    Von Tag zu Tag wurde die Arbeit ein bißchen schwerer. Der große Augenblick kam, als ich auf dem Boden des Loches stand und die letzte Schaufel Erde über die Schulter warf. Ein wunderschönes Stück Arbeit. Ein Loch im Boden? Es gibt Löcher und Löcher. Dieses war ein geheiligtes Loch. Ein besonderes Loch, von Adam Cadmus zu Adam Omega.
    An dem Tage, an dem ich auf den Grund kam, war ich erschöpft. Ich war der Gräber und das Grab. Ja, als ich mit der Schaufel auf dem Boden des Grabes stand, kam mir zum Bewußtsein, daß meine Arbeit etwas Symbolisches an sich hatte. Obschon in diesem Grab ein anderer liegen würde, war mir zumute, als ob es sich um mein eigenes Begräbnis handelte. (J'aurai un bon enterrement.) Es war ein drolliges Buch, dieses «Ich werde ein schönes Begräbnis haben». Aber es war nicht so drollig, in der tiefen Grube zu stehen, von einer bösen Ahnung ergriffen. Vielleicht schaufelte ich mir symbolisch wirklich mein eigenes Grab, symbolisch gesprochen. Nun, noch einen Tag oder zwei, dann war meine Lehrzeit vorüber. Das war nicht so schlimm. Übrigens würde ich bald meinen ersten Lohn erhalten. Was für ein Ereignis! Es handelte sich zwar um keine große Summe. Nein, aber ich hatte sie «im Schweiße meines Angesichts» verdient.
    Es war jetzt Donnerstag. Dann kam Freitag. Und dann war Zahltag.
    Am Donnerstag, diesem Tag des Unheils, schien sich die Atmosphäre daheim irgendwie verändert zu haben. Ich konnte nicht sagen, was mich daran eigentlich so verwirrte. Sicher nicht der Umstand, daß sie so unnatürlich fröhlich waren. Solche Anfälle hatten sie oft. Nein, mir kam es vor, als erwarteten sie etwas Außergewöhnliches, anders kann ich es nicht ausdrücken. Aber was? Wie sie

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