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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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mehr da. Nicht nur die Koffer, alle ihre Sachen fehlten. War sie auf und davon gegangen? Hatte sie mir aus diesem Grund einen Gute-Nacht-Kuß gegeben? Ich sah mir die anderen Zimmer an. Einige Kommodenschubladen standen auf, herausgerissene Kleidungsstücke lagen am Boden. Die Unordnung war so groß, daß die Räumung in wilder Hast und plötzlich stattgefunden haben mußte. Ich hatte dasselbe Gefühl des Absinkens, das über mich gekommen war, als ich auf dem Grunde des Loches stand.
    Auf dem Schreibtisch am Fenster glaubte ich ein Stück Papier zu sehen - eine Mitteilung vielleicht. Ja, wirklich, unter einem Briefbeschwerer lag ein mit Bleistift gekritzelter Zettel. Es war Monas Handschrift.
    «Lieber Val», lautete er, «wir sind heute morgen mit der Rochambeau abgefahren. Hatten nicht den Mut, Dir das vorher zu sagen. Briefe vorläufig an die Adresse American Express, Paris. Alles Gute.»
    Ich las den Zettel noch einmal. Das tut man immer, wenn es sich um eine schlimme Mitteilung handelt. Dann sank ich auf den Stuhl am Schreibtisch. Zuerst kamen die Tränen nur langsam, Tropfen auf Tropfen sozusagen. Dann brachen sie heftig hervor. Ich fing an zu schluchzen. Mein ganzer Körper bebte von diesem Schluchzen. Wie konnten sie mir das antun? Ich wußte, daß sie ohne mich fahren würden — aber so hätten sie das nicht machen dürfen. Davonlaufen wie zwei ungezogene Kinder! Und dann diese letzte Bitte: «Ein Sträußchen Veilchen.» Warum? Um mich von der Spur abzulenken? War das nötig? War ich ein Kind? Nur Kinder behandelt man so.
    Trotz des Schluchzens bekam ich einen Wutanfall. Ich ballte die Faust hinter ihnen her und verfluchte sie als zwei grundfalsche Luder. Ich betete zu Gott, er möge das Schiff sinken lassen, und schwor mir, ihnen nie, nie einen Pfennig zu schicken, selbst wenn sie am Verhungern wären. Dann mußte ich meiner Wut Luft verschaffen, nahm den Briefbeschwerer und schleuderte ihn gegen das Bild, das über dem Schreibtisch hing. Mit einem Buch warf ich nach einem anderen Bild. Ich ging von Zimmer zu Zimmer und zertrümmerte, was mir in den Weg kam. Plötzlich bemerkte ich einen Haufen weggeworfener Kleidungsstücke, sie gehörten Mona. Ich nahm sie eines nach dem anderen auf und beschnüffelte sie automatisch - Hosen, Büstenhalter, Blusen. Sie rochen noch nach dem Parfüm, das sie gebrauchte. Ich raffte sie zusammen und stopfte sie unter mein Kissen. Dann begann ich zu brüllen. Ich brüllte, brüllte, brüllte. Als ich mit Brüllen fertig war, fing ich an zu singen: «Let me call you sweetheart. . . l'm in love with youuu.»
    Der Käsekuchen starrte mir ins Gesicht. «Zum Teufel mit dir!» schrie ich, hob ihn über den Kopf und schmetterte ihn gegen die Wand.
    In diesem Augenblick öffnete sich leise die Tür. Ich erblickte eine der oben wohnenden Holländerinnen. Sie blieb in der Tür stehen und hielt die Hände über ihrem Busen gefaltet.
    «Sie armer, armer, lieber Mann», sagte sie und kam näher, als wollte sie mich umarmen... «Bitte, bitte, nehmen Sie es nicht so schwer. Ich weiß, wie Ihnen zumute ist. .. Ja, es ist schrecklich. Aber sie werden wiederkommen.»
    Diese sanfte Ansprache brachte meine Tränen wieder zum Fließen. Sie legte beide Arme um mich und küßte mich auf beide Wangen. Ich ließ es mir ruhig gefallen. Dann führte sie mich zum Bett, setzte mich darauf und zog mich an sich.
    Trotz meines Kummers bemerkte ich, wie schlampig sie sich wieder angezogen hatte. Über ihren zerrissenen Schlafanzug, den sie anscheinend den ganzen Tag trug, hatte sie einen schmutzigen Kimono geworfen. Ihre Strümpfe hingen ihr lose um die Knöchel. Haarnadeln hingen lose in dem Schopf ungepflegten Haares. Sie war eine Vogelscheuche, darüber gab es keinen Zweifel. Aber Vogelscheuche oder nicht, sie war ehrlich betrübt und aufrichtig besorgt um mich. Sie legte einen Arm um meine Schulter und erzählte mir ruhig und taktvoll, sie habe dies alles seit einiger Zeit kommen sehen. «Aber ich mußte ja meinen Mund halten», sagte sie. Sie legte dann und wann eine Pause ein, damit ich meinen Kummer ausseufzen konnte. Schließlich versicherte sie mir, daß Mona mich liebe. «Ja, sie liebt Sie zärtlich.»
    Ich wollte gerade gegen diese Behauptung Protest einlegen, als die Tür wieder aufging und die andere Schwester erschien. Diese war besser angezogen und sah annehmbarer aus. Sie kam auf uns zu und setzte sich nach ein paar Trostworten an meine andere Seite. Beide hielten nun meine Hände in den

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