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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Finanzminister, Komponist oder Gelehrter sein können. Dann ihre Schwester. Ja, sie war sogar noch schöner als Mona, das war sicher. Aber diese Schönheit verlor sich in zu großem Seelenfrieden. Sie waren aus derselben Familie, aber die eine gehörte ihrer Rasse an, die andere war eine vom Wind gesäte wilde Frucht.
    Als ich schließlich aufblickte, sah ich, daß die Mutter weinte.
    «Sie hat Ihnen also gesagt, ich sei ihre Stiefmutter? Was mag sie nur zu einer solchen Behauptung getrieben haben? Und ich sei grausam zu ihr gewesen . . . habe sie nicht verstehen wollen? Ich kann es nicht begreifen ... nein.»
    Sie weinte bitterlich. Ihr Sohn trat zu ihr und umarmte sie.
    «Nimm es nicht so schwer, Mutter. Sie war immer sonderbar.»
    «Sonderbar, ja, aber dies... dies ist wie Verrat. Schämt sie sich meiner? Was habe ich getan, sagen Sie nur, daß sie sich so verhält?»
    Ich wollte ihr etwas zum Tröste sagen, fand aber keine Worte.
    «Sie tun mir leid», sagte sie. «Sie müssen es in der Tat schwer gehabt haben. Wenn ich Mona nicht zur Welt gebracht hätte, könnte ich glauben, sie sei das Kind einer anderen, nicht meines. Glauben Sie mir, als kleines Mädchen war sie nicht so. Nein, sie war ein gutes Kind, aufmerksam, gehorsam und leicht zufriedenzustellen. Die Veränderung kam plötzlich, als wenn der Teufel Besitz von ihr ergriffen hätte. Alles, was wir sagten oder taten, paßte ihr nicht mehr. Sie war wie eine Fremde unter uns. Wir versuchten alles, aber es war nutzlos.»
    Sie schlug die Hände wieder vors Gesicht und weinte. Ihr ganzer Körper bebte und zuckte.
    Ich wollte so schnell wie möglich gehen. Ich hatte genug gehört. Aber sie bestanden darauf, ich solle noch zu einer Tasse Tee bleiben. So setzte ich mich wieder hin und hörte ihnen zu. Sie erzählten von Monas Leben, von ihrer Kinderzeit. Seltsam genug, damals war nichts Ungewöhnliches oder Bemerkenswertes an ihr. (Ich behielt nur eine kleine Einzelheit. «Sie trug den Kopf immer hoch.») In gewisser Hinsicht war es beruhigend, diese unbedeutenden Tatsachen zu hören. Jetzt konnte ich die beiden Seiten der Münze zusammenbringen. Die plötzliche Veränderung erschien mir nicht so auffallend. Ich hatte sie ja auch an mir erlebt. Was wissen Mütter von ihren Kindern? Legen sie dem widerspenstigen Kind nahe, seine geheimen Sehnsüchte ihnen anzuvertrauen? Prüfen sie das Herz des Kindes? Geben sie je zu, daß auch sie Ungeheuer sind? Und wenn ein Kind sich seines Blutes schämt, wie soll es das seiner eigenen Mutter mitteilen?
    Als ich diese Frau, diese Mutter, betrachtete und ihr zuhörte, konnte ich nichts an ihr entdecken, das mich, wäre ich ihr Kind gewesen, zu ihr hingezogen hätte. Ihre Leichenbittermiene allein hätte mich abgestoßen, ganz abgesehen von ihrem Hochmut. Offensichtlich waren ihre Söhne gut zu ihr gewesen; jüdische Söhne sind das fast immer. Und die andere Tochter, Jehova sei Dank, hatte sie gut verheiratet. Es handelte sich nur um dieses schwarze Schaf, diesen Dorn in ihrem Fleisch. Der Gedanke an sie weckte ihr Schuldgefühl. Sie hatte versagt. Sie hatte schlechte Frucht hervorgebracht, und diese weit vom Stamm gefallene Frucht hatte sie nicht anerkannt. Welche größere Demütigung konnte einer Mutter widerfahren, als Stiefmutter genannt zu werden?
    Nein, je länger ich ihr zuhörte, je mehr sie weinte und schluchzte, desto mehr fühlte ich, daß es ihr an echter Liebe fehlte. Wenn sie ihre Tochter überhaupt geliebt hatte, dann nur, solange diese noch ein Kind war. Sie hatte sich nie bemüht, sie zu verstehen. Es war ein falscher Ton in ihren Beteuerungen. Sie hatte nur den Wunsch, ihre Tochter möge zurückkehren, das Knie beugen und sie um Verzeihung bitten.
    «Bringen Sie Mona her!» bat sie, als ich ihnen gute Nacht sagte. «Hier in Ihrer Gegenwart soll sie stehen und die schlimmen Dinge wiederholen, wenn sie es wagt. Als Ihre Frau sollte sie Ihnen diesen Gefallen schon erweisen.»
    Aus der Art, wie sie das sagte, konnte ich heraushören, daß sie nicht davon überzeugt war, daß wir wirklich verheiratet waren. Ich war versucht zu sagen: «Ja, wenn wir kommen, werde ich Ihnen die Heiratsurkunde mitbringen.» Aber ich hielt den Mund.
    Als sie mir die Hand drückte, schlug sie einen anderen Ton an: «Sagen Sie ihr, es ist alles vergessen», murmelte sie.
    Jetzt spricht sie wie eine Mutter, dachte ich, aber es klingt trotzdem hohl.
    Auf meinem Weg zur Hochbahnstation sah ich mich in der Nachbarschaft um. Die Gegend

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