Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
hübsches Weib hätte ich mir genommen, e i nen Haufen Kinder in die Welt gesetzt und vom Zehnten me i ner Bauern ein gutes Leben geführt. Und was hast du daraus gemacht? Hast erreicht, daß dein König dich des Landes ve r treibt, bist durch die Welt gezogen und schlägst dich für nichts und wieder nichts mit anderen Rittern! Für uns Bauern ist es besser, daß es einen weniger von deiner Sorte gibt!« Verbittert wandte Golo sich ab. Er konnte sie nicht begreifen, diese He r ren! War ihnen langweilig, oder was war der Grund, der sie zu diesem rastlosen Leben trieb?
Er griff nach den Zügeln von Lanzenbrecher. Es war gut, den großen Hengst bei sich zu haben. Mit ihm fühlte er sich auf di e ser Lichtung der Toten nicht so verloren. So wußte er, daß er nicht das einzige Wesen aus Fleisch und Blut in diesem gottve r lassenen Wald war. »Komm, wir werden jetzt deinen Herrn suchen. Wie ich ihn kenne, sitzt er hier irgendwo in einem Busch. Er hat immer Glück. Irgendwie wird er den Feen en t wischt sein. Nicht wahr … « Er blickte dem großen Hengst in die Augen, so als müsse Lanzenbrecher ihm bestätigend zuzwi n kern. Doch das Pferd tat nichts dergleichen.
»Was mach ’ ich hier nur?« brummte Golo mißmutig. »Mit dir reden, als hätte ich einen gottesfürchtigen Christenmenschen vor mir.« Grübelnd blickte sich der Knecht um und fragte sich, wo er wohl seinen Herren finden könnte. Schließlich entschied er sich dafür, am Trophäenbaum vorbei zum Rand des Wal d stücks zu gehen und dort zu suchen. Falls auch Volker ihn suchte, würde der Spielmann dort am einfachsten den Spuren folgen können.
Golo war noch nicht weit gegangen, als er auf die breite Schleifspur stieß, die parallel zum Wasser verlief. Er beugte sich nieder, strich durch die dunklen Flecken im Schlamm und b e gutachtete seine Fingerkuppen. Blut! Da konnte es nicht den geringsten Zweifel geben. Aufmerksam musterte er den ze r wühlten Schlamm, doch wußte er nicht mit Sicherheit zu sagen, wer wen verletzt hatte.
Mit langen Schritten folgte Golo der Schleifspur. Hundert Schritte entfernt entdeckte er einen hellen Gegenstand im Schlamm. Einen Umhang oder etwas Ähnliches. Mißtrauisch blickte er zum Waldrand. Konnte das eine Falle sein? Aber hä t ten Feen so etwas nötig? Ihre Macht wäre doch gewiß groß g e nug, ihn auch ohne eine List in ihre Gewalt zu bekommen, wenn sie es wirklich wollten. Er ging langsamer, und als er endlich erkennen konnte, was dort am Ufer lag, blieb er wie angewurzelt stehen. Volkers Waffenrock! Er war zerfetzt und mit Blut besudelt …
Sie hatten also auch seinen Herrn erwischt! Er war mithin der einzige, der noch lebte! Golo lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Er mußte jetzt einen klaren Kopf behalten! Daß er noch lebte, war ein ungeheurer Zufall. Die beiden Ritter waren w e nigstens noch in der Lage gewesen, sich ihrer Haut zu erwe h ren. Doch er … Er hatte nicht einmal vernünftig gelernt, mit e i ner Waffe umzugehen. Golo dachte daran, wie Volker und Gwalchmai erst am Vortag miteinander gekämpft hatten. Sie waren zwei erstklassige Schwertkämpfer gewesen, und doch hatten die Feen sie scheinbar ohne Mühe bezwungen. Das war Magie! Böser Zauber! Golo konnte förmlich spüren, wie sich sein Magen zusammenzog. Er mußte fort von hier. Seine einz i ge Rettung hieß Flucht!
»Komm, Lanzenbrecher, wir haben hier nichts mehr verl o ren!« Er zerrte an den Zügeln, doch der Hengst rührte sich nicht vom Fleck. Golo verdrehte wütend die Augen, dann hob er den blutigen Waffenrock auf und hielt ihn dem großen Schimmel unter die Nüstern. »Sieh dir das an! Das ist alles, was von unserem Herrn noch geblieben ist. Ein Stück blutbesudelter Stoff. Wir können nichts mehr für ihn tun! Jetzt gilt es, unser eigenes Fell zu retten. Und wenn du unbedingt hierbleiben willst, dann sollst du eben in den Fleischkesseln der Feen la n den.«
Wieder zerrte Golo an den Zügeln, und diesmal fügte sich der Hengst. Der Knecht legte den zerfetzten Waffenrock über den Sattel des Schlachtrosses und machte sich auf den Weg in den Wald. Er hatte Volker im Grunde nie sonderlich leiden können, und doch hätte er nicht gedacht, daß ihre gemeinsamen Abe n teuer ein solches Ende nehmen würden. Bisher hatte er immer gedacht, sein Herr sei unter einem Glücksstern geboren und würde aus jedem Schlamassel, den er sich einbrockte, auch wieder herausfinden. Daran, daß er eines Tages vielleicht ei n mal allein in der Fremde
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