Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
zerknüllten Kleidungsstück, das vor ihr im Wasser trieb. Hinter ihr tauchte der Schatten eines Bootes auf. Undeutlich konnte Volker einen Mann mit einer langen Stange erkennen, der im Heck stand.
»Warte, Neman!« Volker versuchte, nach ihrem Arm zu gre i fen, doch die Heilerin war mit einem Satz im Boot, und der Fährmann stakte es sofort vom Ufer fort.
»Nehmt mich mit! Laßt mich nicht hier auf dieser verfluchten Insel!«
Volker konnte hören, wie der Mann etwas murmelte. Die Fee jedoch schwieg. Schnell war das Boot im Nebel verschwunden.
11. KAPITEL
n das Gewicht der Rüstung hatte Golo sich i m mer noch nicht gewöhnt. Wie konnte man sich nur freiwillig in solche Mengen von Metall zwängen? Sein Kettenhemd saß schlecht. Es zwickte und zwackte überall. Und erst der Top f helm! Sein ehemaliger Besitzer war vom Pferd gestürzt und so unglücklich gefallen, daß er zunächst kein Glied mehr zu rü h ren vermochte und drei Tage nach dem Unfall verstarb. Leider hatten es die Flöhe im Strohpolster des Helms ihrem ehemal i gen Herren nicht gleichgetan. Sie hatten den Sturz offenbar u n versehrt überstanden.
Der Blick des Knappen wanderte über die große Wiese vor der Stadtmauer. Durch die schmalen Sehschlitze des Topfhelms hatte er keinen sonderlich guten Überblick. Aber Lanzenbr e cher würde schon wissen, wohin er sich halten mußte. Unsicher blickte der Knecht nach rechts und links. Wenn die edlen He r ren an seiner Seite wüßten, wer er war, sie würden ihn zweife l los in Stücke reißen. Ein Unfreier, der sich erdreistete, eine Rü s tung anzulegen und an einem Turnier teilzunehmen! Sein Schild und sein Waffenrock waren weiß und trugen kein Wa p pen. Ein Zeichen dafür, daß er zum ersten Mal in einem Turnier focht. Golo wäre es lieber, wenn ihn der Bischof niemals zu di e ser Scharade gezwungen hätte. Doch Jehan bestand darauf, das betrügerische Spiel fortzusetzen, das sie in Martinopolis am Königshof begonnen hatten.
Lanzenbrecher schnaubte. Der große Hengst schien sich auf den bevorstehenden Kampf zu freuen. Fast hundert Ritter aus Aquitanien und den angrenzenden Königreichen hatten sich zum Pfingstturnier eingefunden. Sie waren in zwei Gruppen aufgeteilt worden, die nun an den gegenüberliegenden Enden einer großen Wiese Aufstellung genommen hatten. Alle wart e ten sie nur noch auf das Signal der Hornisten, die vor der E h rentribüne des Bischofs standen. Die Ritterschar auf der feindl i chen Seite bot einen eindrucksvollen Anblick. Die meisten ha t ten nach der neuen Mode aus Outremer ihren Rössern bunte Tücher in den Farben ihrer Wappenschilde und Waffenröcke übergeworfen. Einige hatte sogar ihre Lanzen bunt anmalen lassen und trugen auf ihren Helmen so seltsamen Schmuck wie Pferdeköpfe, Adlerflügel oder Greifen. Alle waren mit Kette n hemden gerüstet, die in der Sonne des Pfingstmorgens wie la u teres Silber glänzten. Golo grinste. Auch er hatte einen Diener des Bischofs gestern abend damit beauftragt, für ihn das Ke t tenhemd zu polieren. Ohne Zweifel hatte es auch seine Vorteile, sich wie ein Adliger aufführen zu dürfen. Wenn er nur nicht gezwungen wäre, an diesem Turnier teilzunehmen!
Der Ritter zu seiner Rechten trug ein rotes Tuch aus feinem Leinenstoff um seinen Oberarm gewickelt. Das Liebespfand einer Dame. Was ihn anging, so gab es keine hübsche Maid, die ihn mit Herzklopfen beobachtete, dachte der Knecht bitter. Nach den Drohungen des Bischofs hatte er sogar darauf ve r zichtet, mit den Küchenmägden anzubandeln. Seit Wochen le b te er wie ein Mönch! Dabei hatte Saintes durchaus hübsche Weibsbilder zu bieten.
Golo packte die Lanze fester. Wenn nur endlich das Signal zum Angriff käme! Diese elende Warterei machte ihn noch ganz verrückt. Sechs Wochen lang hatte ihn der Bischof und sein Rüstmeister im Schwertkampf und im Lanzenreiten au s gebildet. Doch was bedeutete das schon? Die meisten Ritter hier auf dem Feld waren gewiß von Kindesbeinen an in den Wa f fenkünsten unterwiesen worden. Wahrscheinlich durfte er froh sein, wenn es ihm gelang, die Turnierbahn ohne gebrochene Knochen zu verlassen.
Hinter der Absperrung und auf den Tribünen rings herum drängelten sich Hunderte von Zuschauern aus der Stadt und den nahegelegenen Dörfern. Auch die Krieger aus der Armee, die der Bischof in den letzten Wochen aufgestellt hatte, waren unter den Zuschauern. Es hatten sich Söldner aus aller Herren Länder unter dem Banner des Bischofs von Saintes versammelt.
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