Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
erhob Belliesa erneut ihre Stimme. Sie griff nach i h rem Hals und holte eine flammend rote Feder unter ihrem Mi e der hervor. Die Bardin sprach so laut, daß Volker glaubte, den Boden erbeben zu spüren. Er preßte sich die Hände auf die O h ren, um die Anrufungsformel nicht hören zu müssen. Doch es nutzte nichts.
»Komm, Typhon, der du auf dem oberen Tor sitzt,
Io, E rbeeth, Seth, Baphometh, Logos!
Wie Ihr verbrannt und im Feu er verzehrt werdet,
so sollen auch die Seele und das Herz des Ricchar,
Sohn des Odoaker, verbrannt werden!
Mögen Eure Flammen das Fleisch von seinen Knochen schmelzen,
denn er ist nicht das Licht! Also muß er im Lichte vergehen!«
Erschöpft sank die Bardin in sich zusammen. Es schien, als bal l ten die öligen Rauchfahnen, die von den Feuerschalen aufsti e gen, sich plötzlich über der Mitte des Pentagramms zusammen.
Volker zerrte Belliesa aus dem Bannkreis. »Was hast du g e tan?«
»Das wirst du … später sehen!« keuchte sie. Ihre Augen waren von einem Netz geplatzter Adern durchzogen. »Wir müssen jetzt nach unten. Schnell!«
Als Golo erwachte, kauerte Volker an seiner Seite. Noch bevor der Ritter ein Wort über die Lippen brachte, preßte der Spie l mann ihm seine Hand auf den Mund.
»Ganz ruhig!« flüsterte Volker. »Du lebst! Und der Mord an Mechthild ist gerächt. Der Eber ist jetzt tot.« Langsam zog Vo l ker seine Hand zurück.
Golo blickte sich verwundert um. Sie befanden sich in einem niedrigen Gang. Dicht neben ihnen brannte ein Öllämpchen, dessen kleine Flamme nicht reichte, um die Dunkelheit mehr als einen Schritt weit zurückzudrängen.
»Wir sind in den Stollen unter dem Turm des Ebers«, erklärte Volker. »Der Zugang hierher ist verborgen. Doch wir müssen still sein, um die Krieger Ricchars nicht auf uns aufmerksam zu machen, falls sie den Turm doch noch durchsuchen.«
»Was ist mit mir geschehen?« Der junge Ritter schüttelte ve r wirrt den Kopf. Dann erinnerte er sich wieder daran, wie Mechthild in seinen Armen gestorben war. Er ballte die Fäuste zusammen. Der Eber! Er sollte verrecken!
»Wo steckt der Gesetzlose? Und wie komme ich hierher?«
»Ich sagte es dir doch schon. Er ist tot! Du warst ohnmächtig. Belliesa hat dir einen Zaubertrank gegeben, damit du schlafen konntest.«
»Ich wollte nicht schlafen! Ich … «
Irgendwo in der Finsternis ertönte ein durchdringender Schrei. Das Heulen eines Säuglings. Fast sofort wurde dessen Stimme erstickt, doch es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis der Schrei nicht mehr von den Wänden der Stollen widerhallte. Volker fluchte leise. »Komm mit!«
Golo streckte seine steifen Glieder, während Volker die Öll a mpe nahm und tiefer in den Tunnel kroch.
»Wohin willst du?«
Der Spielmann antwortete nicht.
Müde folgte ihm Golo. Sein Magen schmerzte. Wenn er sich nur daran erinnern könnte, was geschehen war. Er hatte mit Belliesa gesprochen …
Unvermittelt hielt Volker an. Die Decke war inzwischen hoch genug, daß man aufrecht gehen konnte.
»Sei vorsichtig!« Der Barde wies auf den Boden. Quer über den Gang lagen einige morsche Bretter. »An manchen Stellen gibt es Schächte, die in die Tiefe führen.«
Mit einem weiten Schritt stieg Golo über die gefährliche Stelle hinweg. Ein Stück weiter kauerte eine Frau, die einen Säugling auf den Armen hielt. Volker stand vor ihr und hielt die Ölla m pe hoch, so daß dem Kind der Schein des Flammchens ins G e sicht fiel. »Er war es, nicht wahr!«
»Ich hatte ihn nur einen Moment lang auf den Boden gelegt … Ich dachte, er sei eingeschlafen. Bitte … Es wird nicht wieder vorkommen. Ich geb ’ ihn nicht mehr aus den Armen.« Die Frau schien regelrecht in sich zusammenzusinken, während sie sprach.
Volker starrte noch immer auf das Kind. Es hatte ein rotes, runzeliges Gesicht. »Ich wußte, daß du das tun würdest. Wir hätten dich im Schnee lassen sollen. Du hättest nicht mehr leben dürfen … «
Golo sah seinen Gefährten entgeistert an. Was meinte er d a mit? Volkers Hand war zum Dolch an seiner Seite geglitten.
»Es wird nicht … wieder vor … kommen«, murmelte die A m me ängstlich.
Abrupt wandte sich der Spielmann um und zeigte den Gang hinunter. Golo sah undeutlich einen grauen Fleck Himmel.
»Dort ist einer der Ausgänge. Eine Öffnung mitten in der Steilwand. Sieh nach, ob du etwas Verdächtiges entdecken kannst.«
»Und du?«
Volker sah zu dem Kind. »Ich habe hier noch etwas zu erled i gen.«
Der junge Ritter
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