Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
müde.
Noch einmal sah er zu der Felswand mit der Zeichnung des Reiters. »Danke«, murmelte er leise. Dann schlief er ein.
22. KAPITEL
s war ein düsterer Nachmittag, und der Schnee fiel in dichten Flocken, als sie Icorigium erreichten. Es war der Tag vor dem Christfest.
In der letzten Nacht hatten sie bei einem Köhler Unterschlupf gefunden. Er war ein einfacher Mann gewesen, der sie für ein paar versprengte Rebellen hielt. Von ihm hatten sie auch erfahren, daß Ricchar die meisten Gefang e nen aus dem Bergdorf begnadigt hatte. Er hatte dort nur eine kleine Garnison zurückgelassen und war nach Icorigium gez o gen, wo er ein großes Siegesfest feiern wollte. Die Bardin hatte er in Ketten legen lassen und mitgenommen. Angeblich hatte auf einem der Packesel auch der Leichnam des Ebers gelegen.
Obwohl Belliesa gefangengenommen war, nahmen die wu n derbaren Geschichten, die man sich über den Auserwählten erzählte, kein Ende. So hatte der Köhler behauptet, Volker sei gemeinsam mit seinem Gefährten auf einem geflügelten Roß in den Himmel geritten, nachdem alle Verteidiger des Dorfes vor der Übermacht der Franken die Waffen gestreckt hätten. Von dort würde der Auserwählte über das Volk der Berge wachen und wiederkehren, wenn der Tag gekommen sei, die Tyrannen endgültig zu vertreiben.
Golo konnte nicht begreifen, warum die Menschen angesichts der schrecklichen Niederlage noch solche Geschichten erzäh l ten. Auch konnte er nicht verstehen, was Volker nach Icorigium zog. Den Spielmann hatte eine merkwürdige Unruhe ergriffen. Seit sie die Höhle im Bergwerk verlassen hatten und bei Nacht den vereisten Hang hinabgestiegen waren, trieb seinen Gefäh r ten eine Unrast an, über die zu sprechen er sich weigerte. Manchmal murmelte Volker leise vor sich hin, so, als sei sein Geist verwirrt. Immer wieder sprach er dabei vom Feuervogel.
Dem Köhler, bei dem sie übernachtet hatten, hatte sein G e fährte ein langes Seil abgeschwatzt. Jetzt standen sie am Rand des Waldes, aus dem die Sachsen angegriffen hatten, als ihre Freischärler vor Icorigium Ricchar in die Falle gegangen waren. Durch das Schneetreiben und in dem schwindenden Licht war die Stadt auf dem gegenüberliegenden Hügel nur als Schatte n riß zu erkennen.
»Was willst du dort noch?« fragte Golo müde. »Es ist vorbei, und wir sollten Gott und allen Engeln danken, daß wir noch leben. Zu zweit können wir nichts mehr ausrichten. Es ist das klügste, nach Worms zurückzukehren.«
Volker schwieg, so, als habe er ihn nicht gehört. Erst nach e i ner ganzen Weile murmelte er. »Sie muß im weißen Turm sein. Wie im Märchen!«
Der junge Ritter starrte seinen Kameraden fassungslos an. »Der Schuldturm? Was ist damit? Du willst doch nicht etwa versuchen, Belliesa zu befreien? In der Stadt wimmelt es nur so von Ricchars Soldaten. Das wäre Wahnsinn!«
»Nicht Belliesa will ich befreien. Den Feuervogel. Er ist dort!«
Golo schluckte. Offenbar hatten Hunger und Erschöpfung seinem Freund den Verstand verwirrt. »Den Feuervogel?«
»Ja! Begreifst du denn nicht? In der Höhle hatte ich zum er s ten Mal den Verdacht … Seitdem habe ich viel darüber nachg e dacht. Belliesa! Sie ist der Feuervogel.« Volker lachte leise. »So oft habe ich mir gewünscht, ihn zu finden, dabei war er die meiste Zeit an meiner Seite. Erinnerst du dich an Geron, den Märchenerzähler in Worms? Er hat fast alles vorausgesagt!«
»Hat er?« Golo wußte nicht recht, was er mit seinem Gefäh r ten anfangen sollte.
»Der Hund. Er ist dem Ritter gefolgt. Er war in Wahrheit der Feuervogel. Er hat sich nicht offenbart, bis ihm die richtige Fr a ge gestellt wurde. Wo bist du, Feuervogel, ich weiß nicht mehr, wo ich dich suchen soll. Das waren die Worte des Ritters. Belliesa habe ich niemals gefragt, wer sie ist … So konnte sie sich nicht in ihrer wahren Gestalt zeigen. Dabei hat sie mir noch in uns e rer letzten Nacht im Bergdorf einen Hinweis gegeben, daß ich ihr nur die richtige Frage stellen müßte. Wie oft haben wir uns gewundert, woher sie all die Dinge wußte … Über unser Leben, über das Land und seine Geheimnisse … Die Antwort war so einfach. Der Feuervogel weiß um alle Geheimnisse!«
»Das wußte sie, weil sie eine Zauberin ist! Eine falsche Schlange, die uns die ganze Zeit für ihre Ziele mißbraucht hat«, grollte Golo. »Wenn du mich fragst, dann wollte sie nur Rache an Ricchar. Wenn sie wirklich der Feuervogel wäre, dann mü ß test du doch auf ihrem
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