Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
sich zu reißen? Jeder, der zug e sehen hatte, mußte denken, er sei ihr Lakai! Wütend stieg er in den Sattel. Belliesa verbeugte sich vor den Städtern, die den weiten Platz umstanden, so daß man meinen könnte, das Ganze sei eine Schmierenkomödie, aufgeführt von einer fahrenden Gauklertruppe. Dem Spielmann blieb nicht verborgen, daß vi e le der Einwohner Icorigiums offenbar froh darüber waren, daß die Bardin dem Scheiterhaufen entkommen war. Wer war diese Frau?
Belliesa hob die Rechte und winkte Volker zu, ihr zu folgen. Dann gab sie ihrer prächtigen Stute die Sporen und preschte auf das Ende des Platzes zu, an dem Golo wartete. Eine breite Gasse bildete sich zwischen den Zuschauern. »Möge Gott seine schützende Hand über dich halten, Belliesa«, ertönte aus den Gedränge die Stimme einer jungen Frau.
6. KAPITEL
elliesa war viele Meilen lang der Straße nach Ca s tra Bonna g e folgt, bis sie vor einem Abzweig, der in die Wälder führte, ihr Pferd zügelte. Es hatte angefangen zu regnen. Die Wipfel der Berge w a ren in den Wolken verborgen, und graue Duns t schle i er zogen die dunklen Wälder an den Bergflanken herab. Volker war naß bis auf die Knochen. Fast wünschte er, er hätte die Bardin ihrem Schicksal überlassen, dann säße er jetzt in e i nem trockenen, warmen Gasthaus bei einem gepflegten Mi t tagsmahl. Er lenkte sein Pferd an Belliesas Seite. Seit der Flucht aus der Stadt hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihr zu reden … Und es gab eine Menge zu bereden!
»Was denkst du eigentlich … «
Die Bardin schnitt ihm mit einer harschen Geste das Wort ab. »Es ist besser, wenn wir die Hauptstraße verlassen. Wollt ihr mit mir reiten? Ich kenne die Berge recht gut. Folgt mir, und zur Abenddämmerung werden wir in einer tiefen, trockenen Höhle sitzen.«
»Ich werde … «
»Du brauchst mir nicht zu danken. Ich stehe in deiner Schuld, Volker. Ohne dich wäre ich jetzt tot.« Belliesa warf dem Spie l mann einen koketten Blick zu. »Ich werde dich und deine Re i segefährten vor den Franken schützen und euch sicher bis nach Treveris bringen. Ich kenne jeden Pfad hier in den Wäldern.«
»Ich bedarf nicht der Hilfe einer Frau!« platzte Volker heraus. »Ich brauche auch kein Weib, das mir sagt, was ich tun soll. Es wäre sehr entgegenkommend von dir, wenn du aufhören wü r dest, mich und meine Gefährten wie deine Untergebenen zu behandeln. Wir sind sehr wohl in der Lage, selbst zu entsche i den, wohin uns unser Weg führen soll. Und ich denke nicht daran, nach Treveris zu reiten, um … «
»Du erlaubst dir doch auch, für den Ritter und das Mädchen Entscheidungen zu treffen. Ich habe nicht den Eindruck, daß du die beiden fragst, wohin sie eigentlich wollen.«
Volker konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie Golo grin s te. Verräter! »Ich … Also … Ich zwinge niemanden, mit mir zu reiten.«
»Das tue ich auch nicht«, entgegnete die Bardin kühl. »Wenn ich die Dinge richtig sehe, habt ihr im Moment folgende Mö g lichkeiten. Entweder ihr reitet die Römerstraße weiter nach O s ten. Dann kommt ihr irgendwann in Castra Bonna an, es sei denn, die Häscher von Heliodromus erwischen euch vorher. Dafür spricht einiges, denn sie unterhalten einen Botendienst entlang der Römerstraße, und ich bin sicher, daß bereits jetzt eine Nachricht an den Gaugrafen unterwegs ist. Die zweite Möglichkeit besteht darin, der Straße nach Westen zu folgen. Dann kommt ihr auf direktem Wege zurück nach Icorigium. Wenn ihr dem Wort des Offiziers dort glaubt, könnt ihr die Stadt heute noch ungeschoren passieren … « Belliesa zuckte mit den Schultern. »Ich für meinen Teil würde mich darauf lieber nicht verlassen wollen … Aber ihr müßt wissen, was ihr tut. N a türlich könnt ihr auch einen der kleinen Wege nehmen, die von der Römerstraße abzweigen. Viele enden in verlassenen Dö r fern oder bei gebrandschatzten Gutshöfen. Wenn ihr euch nicht auskennt, werdet ihr euch hoffnungslos verirren. Die vierte Möglichkeit besteht darin, einfach das Vernünftigste zu tun und mir zu folgen. Wie gesagt, ich kenne die Gegend und kann euch, wenn wir nicht allzu lange hier verweilen, um verletzte Eitelkeiten zu pflegen, ein trockenes Nachtquartier verspr e chen.«
Golo räusperte sich leise. »Wenn ich vielleicht … «
»Nein!« Es kostete Volker alle Mühe, nicht einfach losz u schreien. Was ging hier vor sich? Noch nie hatte Golo seine A u torität in Frage gestellt! Doch nun wollte er sich
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