Nibelungenmord
den Buschtrommeln der Königswinterer Nachbarschaft zu überlassen?
»Noch einmal von vorne, Herr Dr. Sippmeyer. Gestern Abend. Bis wann waren Sie im Büro?« Jan zückte sein Notizbuch. Eigentlich brauchte er es nicht, sein Gedächtnis war gut. Die konzentrationsfördernde Wirkung bei dem Gegenüber war jedoch enorm. Kaum merkten die Leute, dass man ihre Worte aufzeichnete, wurden sie erstaunlich präzise.
»Lassen Sie den Titel ruhig weg«, sagte Sippmeyer und versuchte ein Lächeln. Es misslang. »Bis acht Uhr, vielleicht halb neun.«
»Und danach? Sind Sie da nach Hause gefahren?«
»Zuerst ja.«
»Von wann bis wann waren Sie hier?«
»Von neun bis Viertel vor zehn, ungefähr.«
»Und Ihre Frau?«
»Die war nicht hier. Aber Cecilia, ich meine, Frau Thomas, sie war noch hier und hat das Fest vorbereitet.«
»Und wo waren Sie danach?«
»In der Kneipe, hier im Ort. Im Tubak.« Sein Blick irrte unruhig hin und her, als sei er sich selbst nicht sicher.
»Von wann bis wann?«
»Hin bin ich gegen zehn. Ja, gegen zehn. Und dann … Das war lang. Sehr lang.«
»Bis wann in etwa?«
»Tja …« Sippmeyer presste die Lippen aufeinander und schwieg.
»Sagen Sie mir einfach eine ungefähre Zeit, wir prüfen das ohnehin nach«, sagte Jan so freundlich wie möglich.
»Eins vielleicht.«
»Okay, das war es dann vorläufig. Was ist mit der Liste? Freunde, Bekannte? Vielleicht das Adressbuch Ihrer Frau?«
»Hole ich.« Sippmeyer stand auf.
»Und das Bild«, mischte sich Elena ein, die gerade dazugekommen war. »Wir brauchen ein Bild Ihrer Frau. Ein möglichst aktuelles.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte Sippmeyer.
»Na, das wird ja ein Spaß«, murmelte Elena, nachdem er das Wohnzimmer verlassen hatte.
»So geht das schon die ganze Zeit.«
»Komischer Kerl.« Sie trat an den Kamin, und er betrachtete etwas verschämt ihren Rücken. Elena hatte ein Kreuz wie eine Ringerin, und nicht zum ersten Mal fragte sich Jan, ob es wohl einen Mann auf der Welt gab, dem das gefiel. Letztes Jahr hatte sie im Sommer plötzlich einen Rock getragen, und Reimann hatte ihm ein verschwörerisches »Geile Beine!« zugeflüstert. Jan hatte sich beinahe verschluckt vor Schreck darüber, dass jemand seine Kollegin auf diese Art ansah. Aber damals war Reimann in seiner Trennungsphase gewesen, hatte alle mit seinen Ehegeschichten genervt und in seiner Freizeit mit gierigen Blicken um sich geschossen, in der wilden Überzeugung, dass sich so eine Trennung schließlich lohnen müsse.
Inzwischen war Reimann wieder bei seiner Frau eingezogen, und das Gejammere über seine miesen Chancen auf dem Paarungsmarkt war dem Gejammere darüber gewichen, dass seine Frau das landesweite Rauchverbot nun auch in den eigenen vier Wänden durchsetzte. Manche jammerten einfach immer.
Sippmeyer sah nicht so aus, als ob er zu der jammernden Gattung Ehemann gehörte. Zu welcher Gattung hätte er selbst wohl gehört?
»Meinst du, die sind echt?« Elena betrachtete neugierig eine elegante Schale mit seltsam geformten stacheligen Früchten darin.
Jan trat neben sie, auch, um nicht weiter ihren imposanten Rücken ansehen zu müssen. »Bestimmt. Ich glaube nicht, dass es in diesem Haus irgendwelche Attrappen gibt.«
Neben der Schale stand eine hübsche Sammlung silbern gerahmter Familienbilder. Michael Sippmeyer mit Siegergesicht und eine blonde Schönheit in Hochzeitskluft, ein süßes, pausbackiges Baby auf einem Schaffell, ein Knirps auf einem Schaukelpferd, derselbe etwas älter mit Zahnlücke und Schultüte. Jan nahm das Hochzeitsbild in die Hand.
Der Brautstrauß, das weiße Kleid und der Smoking reichten als Schlüsselreize vollkommen aus, um ihn für Minuten in einen Hochzeitsalptraum zu katapultieren. Die strahlende Braut mit der Hochsteckfrisur trug eines dieser gerafften, taillierten Kleider, die beinahe jede Braut zu tragen hatte. Es war eine hübsche Braut, fröhlich und blühend, aber im Vergleich zu Nicoletta sah sie durchschnittlich aus. Nicoletta war wie gemacht für Brautfotos. Ihr wildes dunkles Haar trug sie zu einem dramatischen Knoten gebändigt. Ein milchweißer Teint, das erbsengroße Muttermal, das mit ihrer zart geschwungenen Oberlippe verschmolz. Wie hätten sie beide wohl nebeneinander ausgesehen? Was für ein Kleid hatte Nicoletta ausgesucht? Bezahlt war es, und weil Jan sich ziemlich sicher war, dass es kein Brautkleid von der Stange gewesen war, konnte sie es bestimmt nicht zurückgeben.
Und was war eigentlich mit den
Weitere Kostenlose Bücher