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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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»Ich? Was soll ausgerechnet ich mit ihm reden?«
    »Du bist eine Frau. Du bist der sensibelste Mensch, den ich kenne. Mit dir redet er bestimmt.«
    Romina schüttelte den Kopf. »Ich bin die Geliebte seines Vaters. Ich bin eine Fremde. Und ich kenne keine Kinder und habe keine Erfahrungen. Um ehrlich zu sein, ich mag Kinder noch nicht einmal.« Bei ihren harten Worten pochte ihr Herz schmerzhaft hinterm Rippenbogen.
    Halte durch, zischte es in ihr. Wenn du jetzt schon verbindlich wirst, wie soll es dir dann gelingen, Schluss zu machen?
    Er hatte es geschafft. Irgendwie hatte Michael es geschafft, sie zu überreden, und sie hatte es ihm nicht einmal schwergemacht, das wusste sie selbst.
    Und darum stand sie jetzt mit ihm in seinem Haus, ordnete ihre wirren Haare und wappnete sich für die erste Begegnung mit dem Sohn ihres Geliebten, der schon morgen nicht mehr ihr Geliebter sein sollte und davon noch nichts wusste.
    »Sven?« Mit einer Handbewegung bedeutete Michael Romina, ihm zu folgen, und stieg die Treppe hinauf. Svens Zimmer lag im zweiten Stock. Die Zimmertür war fest verschlossen, hämmernde Rhythmen brachten sie fast zum Erzittern. Das Poster mit dem langhaarigen, matschverschmierten Sänger, der seine gepiercte Zunge herausstreckte, schrie ihnen die ganze Verachtung der unverstandenen Jugend entgegen.
    Michael klopfte einmal, zweimal. »Sven?« Seine Stimme hatte eine Tonlage erreicht, die Romina fremd war. Ängstlich, schmeichlerisch klang diese Stimme. Oder war es nur ihr neuer distanzierter Blick, der diese Seite an ihm entdeckte?
    »Du gehst besser runter. Ich mache das schon«, sagte sie zu ihm.
    Dann öffnete sie die Tür.
    In Svens Zimmer herrschte unheilbares Chaos. Es waren zu viele Details, und Rominas Augen, gewohnt, jedes einzelne zu erfassen, in seine Bestandteile zu zerlegen und es in zweidimensionaler Form wiederzugeben, schlossen sich reflexartig bei der Fülle an Eindrücken, die auf sie einstürmten. Sie konzentrierte sich auf die Poster. Es waren aggressive Poster, brüllende Rocksänger in männlichen Posen, blutbeschmiert, manche trugen Masken. Es waren typische Objekte der Popkultur. Einige Motive waren denen Rominas gar nicht so unähnlich, trotzdem waren sie substanzlos, effekthascherisch, reine Oberfläche.
    Der Junge, der inmitten dieses Chaos trotzig auf der Kante seines ungemachten Bettes hockte, wirkte im Kontrast dazu geradezu rührend verletzlich. Ein angespanntes Kindergesicht unter kunstvoll gegelten Stachelhaaren. Er trug eine schmuddelige schwarze Pyjamahose und dazu ein rotes T-Shirt, das nicht zu dem Gesamteindruck passte, denn es war nagelneu und wahrscheinlich noch nie gewaschen worden. Hinten aus dem Kragen hing noch das Schildchen.
    Romina verbiss sich einen Kommentar und versuchte, nicht an die Schadstoffe zu denken, die die Färbechemikalien langsam, aber sicher in die transpirierende Haut des Jugendlichen abgaben. Sie selbst bevorzugte ökologisch angebaute Baumwolle mit Pflanzenfarben. Und selbst die wusch sie zweimal, ehe sie sie anzog.
    »Hallo«, versuchte sie sich durch das Getöse aus den Boxen Gehör zu verschaffen.
    Keine Reaktion.
    Sie trat an die Stereoanlage, drehte den Lautstärkeregler nach unten. »Darf ich?«, fragte sie in die plötzliche Stille hinein. Sven nickte kaum wahrnehmbar.
    Romina schob einen Stapel muffiger Kleidung beiseite und setzte sich mit dem Rücken an den Kleiderschrank.
    »Ich nehme an, du weißt, wer ich bin. Ich bin die Freundin deines Vaters. Romina. Du kannst gern Romina zu mir sagen. Musst du aber nicht.«
    Keine Reaktion. Die Augen des Jungen glitten von ihrem Gesicht zur Anlage, als könne diese jeden Augenblick ein Eigenleben entwickeln und den ungebetenen Eindringling zum Schweigen bringen.
    »Dein Vater macht sich Sorgen um dich. Er weiß nicht, wie er mit dir reden soll, und vielleicht liegt es daran, dass du nicht mit ihm reden willst, das weiß ich nicht. Er hat mich gebeten, mit dir zu reden.«
    Schweigen.
    »Ehrlich gesagt halte ich das selbst für keine gute Idee, ich glaube kaum, dass du gerade mich sehen willst. Du weißt ja wahrscheinlich, was zwischen deinem Vater und mir lief.« »Läuft«, hatte sie sagen wollen, aber ihr war das andere Wort entschlüpft, ehe sie es aufhalten konnte.
    »Jedenfalls hat er mich gebeten, mit dir zu reden. Ich mag deinen Vater, und er tat mit leid, darum habe ich zugestimmt. Es ist sehr nett von dir, dass du mich in dein Zimmer gelassen hast, und ich werde jetzt wieder gehen

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