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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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die Motive. Eines zeigte die Kühlerhaube seines Autos.
    »Da bin ich«, sagte es hinter ihm, und er drehte sich um und nahm ihr ein Glas ab.
    »Ich hatte zufällig noch ein Fläschchen kalt«, sagte sie und lächelte, als wolle sie ihre offensichtliche Lüge abmildern. Wieder einmal fragte er sich, womit er es verdient hatte, dass sie es ihm so leicht machte.
    Das Kerzenlicht zauberte lebendige Reflexe auf die graue Wand. Jan nahm noch einen Schluck und schloss die Augen. Er dachte an den Kartäuserkatzenteppich. Ob ein paar Kerzen ihn zu beleben vermochten? Oder verlangte selbst der Teppich nach der verzaubernden Wirkung von Nicoletta?
    Er fühlte sich wohl. Zu Hause. Er wollte hierbleiben.
    Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen das Armpolster und schob ihren nackten Fuß unter seinen Oberschenkel.
    »Erzähl mal von dem neuen Fall. Ich habe in der Zeitung darüber gelesen. Klingt spannend.« Nicolettas Mangel an Mitgefühl erlaubte es ihr, jeden seiner Fälle auf sein Sensationspotenzial zu scannen. Das war immer eine unschätzbare Entlastung am Feierabend gewesen. Er hatte von seinem Tag berichten können, ohne dabei Tod und Verbrechen so nah heranzulassen, dass es ihm das Abendessen verdarb.
    Er nahm noch einen Schluck und begann zu reden. Ihr Fuß fühlte sich gut an. Vertraut. Trotzdem war es eine gefährliche Berührung.
    Während er sprach, überlegte er, ob er die Beine übereinanderschlagen und ihren Fuß dadurch loswerden konnte. Vielleicht lief er damit aber Gefahr, alles zu zerstören.
    »Was ist los?«, fragte Nicoletta. »Erzähl weiter.«
    »Was soll los sein?«
    »Du wolltest gerade von der Höhle berichten.«
    »Lieber nicht.« Die Drachenhöhle. Tod. Leiche. Falsches Thema.
    »Okay. Wir haben jetzt auch genug geredet, finde ich«, sagte Nicoletta und kam mit Schwung auf die Knie.
    »Findest du?« Ihr Gesicht war plötzlich gefährlich nahe.
    Und ganz schnell, ehe er wieder an Drachen, Leichen und Altenheime denken konnte, beugte er sich vor und suchte ihren Mundwinkel, fand das vertraute Muttermal und spürte, wie sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen.
    Was will sie bloß von mir, dachte er noch einmal, ehe er das Denken einstellte und sich ihrer Berührung überließ. Und verschwommen, während sie das Sofa in Besitz nahmen, bemerkte er eine Katze, die warm und zufrieden schnurrte, aber sicher war das reine Einbildung.
    Leider währte das Schnurren nicht lange und auch nicht die Wärme.
    »Komm mit, ich zeige dir mein Schlafzimmer«, flüsterte das Muttermal in sein Ohr.
    Warum nicht hier, lass uns doch hierbleiben, wollte er sagen, wagte es jedoch nicht. Wenn wir verheiratet wären, würde ich ihr jetzt unterstellen, dass sie um das neue Sofa fürchtet, dachte er und folgte ihr ins Schlafzimmer.
    Was eben noch die gefühlte Ästhetik eines Musikvideos gehabt hatte, weiche Schnitte, Körper in Großaufnahme, sehnsüchtige Lippen, wurde jetzt schmerzhaft peinlich. Er kannte die Bettwäsche. Sie war Zeuge von etwas gewesen, woran er jetzt nicht denken wollte. Er wollte nicht an die andere Frau denken, die leblos dagelegen hatte, während er …
    Nein. Jan schüttelte das Bild ab, aber es verschwand nicht, es umlauerte ihn, höhnte und spottete. Warum musste Nicoletta immer den Ton angeben? Warum hatten sie nicht einfach auf dem neuen Sofa bleiben können? Es wäre perfekt gewesen für einen Neuanfang. Hier auf diesem Bett dagegen …
    Und er selbst, warum hatte er ihr nicht einfach widersprochen, sie mit sanfter Gewalt in das rotsamtene Polster gedrückt und dafür gesorgt, dass sie nicht an einen Ortswechsel dachte, dass sie an gar nichts mehr dachte außer an ihn?
    Der Ärger, der plötzlich in ihm aufstieg, passte schlecht zu den Liebesworten, die über seine Lippen strömten. Er schloss die Augen, hielt den Mund und hoffte, es würde alles irgendwie funktionieren.
    »Ich wusste, dass wir heute so enden. Gleich als du angerufen hast, wusste ich es«, hauchte ihm das Muttermal ins Ohr.
    Aber du hast doch gesagt, ich soll nicht anrufen!, wollte er sagen, aber stattdessen dankte er still Clara und schwieg. Und hoffte weiter.
    Als sie ihm den Pullover über den Kopf zog, öffnete er die Augen, und das war ein Fehler. Sein Blick irrte durch den fremden Raum, streifte den goldenen Spiegel über dem Bett, den Umzugskarton in der Ecke und blieb am Nachttisch hängen. Nasentropfen. Wecker.
    Und die Schlafbrille, die ihn mit toten Augen anblinzelte.
    »Ist alles okay?«
    Nichts war okay.
    In

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