Nibelungenmord
fliegender Hast knöpfte Jan seine Hose zu, angelte sich den Rest seiner Klamotten und floh.
Der vierte Tag
Erblichen was sîn varwe: ern kunde niht gestên.
sînes lîbes sterke diu muose gar zergên
wande er des tôdes zeichen in liehter varwe truoc.
sît wart er beweinet von schœnen fróuwén genuoc.
Die Farbe wich aus seinem Gesicht, er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten.
All seine Kraft schwand dahin,
denn der Tod hatte seine strahlende Stirn bereits gezeichnet.
Er wurde von unzähligen schönen Frauen beklagt.
D ie Kopfschmerzen waren da, noch ehe Romina erwachte. Sie wühlten sich in ihren Schlaf, gruben mit scharfen Klauen in ihre verkrampften Schultern und füllten ihr den Mund mit dem bitteren, pelzigen Geschmack eines erbarmungslosen Katers.
Es war einfach zu viel Wein gewesen letzte Nacht. Viel zu viel. Das hatte sie bereits gewusst, als sie die zweite Flasche öffnete, eigentlich sogar schon vorher.
Romina vertrug keinen Wein. Nicht nur, dass er ihr auf den Magen schlug und ihr als Dreingabe scheußliche Kopfschmerzen bescherte, er hinderte sie am Arbeiten, blähte ihre Ideen zu unverdaulichen, sperrigen Monsterbildern auf und machte sie selbst träge und weinerlich. Aber das, hatte sie verschwommenen Kopfes gedacht, als der Korken aus der grünen Flasche ploppte, das war jetzt egal geworden. Eine Künstlerin, deren bestes Bild verschwunden war, durfte trinken. Schlimmer konnte es ohnehin nicht kommen.
Das Waschbecken war kalt und hart unter ihren Händen, als Romina in den Spiegel blickte. Sie sah furchtbar aus, wie erwartet. Die Ähnlichkeit mit einigen ihrer Selbstporträts war alarmierend, und zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie das amüsiert.
Jetzt nicht. Jetzt interessierte sie gar nichts. Es sollte ihr nur bessergehen. Irgendwie. Sie betete stumm darum, dass sie sich nicht auch noch übergeben musste. Sie füllte einen Zahnputzbecher mit Wasser und trank. Es schmeckte widerlich nach Kater, aber bei dem Gedanken, sich eine Zahnbürste in den Mund zu stecken, wurde ihr übel.
Als das Telefon klingelte, zuckte sie zusammen. Viel zu laut schrillte es in ihrem schmerzenden Schädel.
Eine S-Bahn im Tunnel, dachte sie. Eine S-Bahn im Tunnel, und mein Kopf liegt zwischen den Schienen. Immer kamen diese Bilder, stiegen in ihr auf, um dann an der Oberfläche ihres Bewusstseins zu zerplatzen wie Seifenblasen. Was war es wert, in Bildern zu denken, wenn man diese nicht auf die Leinwand bringen konnte? Wenn die einzigen Bilder, die greifbar blieben, so triviale Dinge beschrieben wie die Kopfschmerzen nach einer durchsoffenen Nacht?
Das Telefon schrillte weiter, beschleunigte, wurde zum Zug und überrollte sie. Ihr Kopf stieß unsanft an den Wasserhahn, als sie ihn reflexartig über das Becken beugte, ehe sie sich übergab. Säure und Bitterkeit explodierten in ihrem Mund, stiegen ihr in die Nase, und zu alldem war da noch dieser Zug, der ihre Schädeldecke zerstampfte.
Vielleicht war sie eingeschlafen. Als sie die Augen öffnete, war der Zug weg. Ihr Kopf lag nicht im Tunnel eines S-Bahn-Schachts, sondern auf dem Badezimmerfußboden.
Der frische Geschmack der Zahnpaste tat gut. Er vertrieb den Kater aus ihrem Mund. Mit beiden Händen schaufelte Romina sich Wasser ins Gesicht, als das Klingeln erneut einsetzte.
Michael, dachte sie. Er würde nicht aufgeben. Er würde immer weiter anrufen, und das war kein Wunder. Er wusste nicht, was sich in ihr abspielte. In seiner merkwürdigen kleinen Welt gab es keine unerklärlichen persönlichen Krisen, sondern klar verteilte Rollen wie in einer Seifenoper, es gab unglückliche Ehemänner, leidenschaftliche Geliebte, sensible Söhne und so weiter. Sie war die Geliebte, von der er lange durch unliebsame Umstände getrennt gewesen war und die jetzt, da diese Umstände wie von Zauberhand verändert schienen, in den Rang der Hauptgemahlin aufsteigen konnte.
Sie musste mit ihm reden.
Warum nicht gleich?
Sie wankte in den Flur und griff nach dem Telefon, das erstaunlicherweise immer noch klingelte.
Erst war da gar nichts.
»Hallo?«, fragte Romina in den Telefonhörer und rutschte mit dem Rücken die Wand hinunter, bis sie fest und sicher saß.
Die Stimme am anderen Ende klang kühl, professionell.
»Mit wem spreche ich, bitte?«
»Romina Schleheck.«
»Sie sind es, wie schön!« Die Stimme hatte jetzt eine freundliche Drehung bekommen. »Gernhart ist mein Name, Bundeskunst- und Ausstellungshalle.«
»Ja«, sagte Romina und sah auf
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