Niccolòs Aufstieg
höre, man hat dich, offenbar mit dem Messer, zu Niccolò umgetauft.«
Ihr Ton war nicht schroff, aber Adorne, der auf gute Umgangsformen Wert legte, runzelte seinerseits die Stirn und entfernte sich ein wenig, um mit seinen Kindern zu sprechen.
Claes, der allein am Ufer zurückblieb, sagte mit Bedacht: »Ihr sprecht von meinem Gesicht, Demoiselle? Nun, ich habe mich hingelegt und mich von jemandem mit Schlittschuhen überfahren lassen.«
Sie machte ein Gesicht wie Julius, wenn er es bereute, weich geworden zu sein. Da er keineswegs unfreundlich gestimmt war, fügte er hinzu: »Es war nur ein kleiner Unfall. Ohne Bedeutung. Genau wie der Name. Die Mailänder ziehen diese Form der flämischen vor. Es hat bisher niemanden davon abgehalten, mich Claes zu nennen.«
»Oder sonst was«, warf Anselm Sersanders ein, als er auf Schlittschuhen, die nicht richtig paßten, knirschend bei ihnen anhielt. »Schau mal, die habe ich ausgeliehen. Willst du es mal versuchen?«
Er geriet unter einem heftigen Stoß ins Wanken. Ein kleines pummeliges Mädchen von dreizehn oder vierzehn Jahren zog ihre Faust zurück und rief: »Du wolltest mit mir laufen.«
»Lauf mit Claes«, gab Sersanders zurück. »Der kann’s wirklich gut.«
»Mit einem Diener!« rief die kleine Pummelige entrüstet.
Claes sah sie lächelnd an. »Aber dazu sind Diener doch da«, sagte er. »Ich laufe neben Euch her, und Ihr sagt mir, wie ich Euch dienlich sein kann. Seht her. Ich laufe wie der Schatzmeister Bladelin. Er ist ein großer Herr, aber im Grunde ist er doch nur der Diener des Herzogs. Und so läuft er Schlittschuh!«
Mit den geliehenen Schlittschuhen unter den Füßen trat er aufs Eis und versuchte ein Gesicht zu ziehen wie der Schatzmeister Bladelin, wenn er einer vornehmen Dame seine Reverenz machte. Die Grimasse tat weh, aber das war die Sache wert. Er legte eine hoffähige Verbeugung hin, wackelte dabei herum, als verlöre er gleich die Balance, und bot der Kleinen mit galanten Worten und künstlichem französischen Akzent den Arm. Die Stimme war nicht schwer nachzuahmen. Das kleine Mädchen blickte wie gebannt zu ihm auf, dann drehte sie sich nach Katelina van Borselen um.
Ein wenig zu spät erkannte er, daß dies die kleine Schwester war. Nun ja. »Edle Dame, wollt Ihr mir die Ehre erweisen?« Er nahm die Kleine, die keinen Widerstand leistete, bei der Hand und glitt mit ihr über das Eis davon.
»Mach noch mal so was«, sagte sie.
Er gab noch einmal Pierre Bladelin. Dann die beiden Bürgermeister. Er sauste tollkühn wie der lasterhafte Neffe des Herzogs übers Eis, selbstbewußt und mit tollem Schwung bis zum vernichtenden Sturz am Ende. Er lief ernst und konzentriert wie der so gar nicht lasterhafte Sohn des Herzogs, der Graf von Charolais, worüber der kleine Charles van Borselen, der sein Patensohn war sich ausschüttete vor Lachen. Er lief mit einer Miene wie Jehan Metteneye, wenn er einen Ballen Stoff prüfte und. ein Angebot dafür machte; er rannte wie der Probst von St. Donatian, wenn der mit der Heilig-Blut-Prozession Schritt halten wollte; und torkelte wie die Männer in den Treträdern des Stadtkrans, wenn sie zuviel Bier getrunken hatten.
Seine Freunde wollten unbedingt eine seiner Glanznummern sehen, Olympe, die Frau, die das Stadtbordell führte. Aber dazu ließ er sich nicht herbei. Seine Vorführung war für die Kinder, die ihn jetzt lachend und schreiend umringten. Er imitierte jede Person, die sie sich wünschten, ausgenommen Anwesende und Eltern. Er hatte oft genug Prügel bekommen. Gelis behielt er bei sich im Kreis, machte sie gewissermaßen zu seiner Mitspielerin, und sie strahlte über das ganze beklagenswert häßliche pausbäckige Gesicht.
Adorne machte dem lustigen Treiben schließlich ein Ende, indem er seine Kinder rief und Claes ermahnte: »Vergiß nicht die Briefe für Messer Arnolfini, mein Freund.«
Er wartete, bis der junge Mann mit dem kleinen Mädchen, von einer Schar enttäuschter Kinder gefolgt, herankam. Katelina von Borselen stand schweigend neben ihm. Als Claes vor ihnen anhielt, rief Gelis mit finsterer Miene: »Ich will aber noch nicht aufhören.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Katelina, »aber du darfst deinen Freund nicht so ermüden. Er braucht seine Kraft morgen für den Karneval, da muß er Damen unterhalten, die ein wenig älter sind als du.«
Wegen der Erhitzung hatte sich die Wunde in Claes’ Gesicht wieder geöffnet. Er drückte ein Taschentuch darauf und versuchte, mit einer
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