Niccolòs Aufstieg
Seitenlehnen, daß die Ärmel über sie herabfielen, und wurde sich bitter bewußt, daß ihr Herz wie eine Baßtrommel schlug. Sie hatte ihn gezwungen. Aber er würde es niemals bereuen. Niemals.
KAPITEL 26
Der erste Schock ereilte Gregorio d’Asti, der seine neue Arbeitgeberin, die Witwe Charetty, erst seit einer Woche kannte. Den Färber Nicholas kannte er überhaupt nicht, abgesehen von einer flüchtigen Begegnung an der Pumpe im Hof, bei der sich gezeigt hatte, daß der junge Mann unzuverlässig war. Gregorio hatte auch in Erfahrung gebracht, daß er Claes genannt wurde.
Kaum hatte Gregorio früh am nächsten Morgen die schwarze Kappe aufgesetzt und den Talar angelegt, wurde er gerufen, und als er die Tür zum Schreibzimmer öffnete, saß Marian de Charetty, ein wenig rot im Gesicht, an ihrem Schreibtisch. Die Waage stand noch auf dem Tisch, und auch die Rechnungsbücher, das Tintenfaß und die Federn lagen noch da. Ebenso die Preistafel mit der Reihe farbiger Wollmuster. Am Ende des Schreibtischs saß der junge Mann von der Pumpe, gekleidet in die übliche blaue Charetty-Tracht. Er hielt den Kopf gesenkt und folgte zu Gregorios Überraschung mit einer Feder der Reihe von Zahlen oder Namen auf dem obersten Blatt eines dicken Stapels von Papieren entlang, den er auf einem Knie balancierte.
Er blickte auf und lächelte, lächelte auch die Demoiselle de Charetty an, die für eine kleine, rundliche und nicht unattraktive Frau ein ziemlich fürchterregendes Gesicht machte. Sie räusperte sich und sagte: »Vielen Dank, Meester Gregorio, daß Ihr gekommen seid. Genaugenommen handelt es sich nicht um eine geschäftliche Angelegenheit, obwohl ich im Namen aller meiner Freude darüber Ausdruck verleihen möchte, daß Ihr zu uns gekommen seid, und ich hoffe, Ihr werdet gern mit uns arbeiten. Nicholas und ich, wir brauchen Eure Hilfe in einer persönlichen Angelegenheit.«
Uns. Wir. Beim Vorstellungsgespräch hatte sie von sich als der alleinigen Geschäftsinhaberin gesprochen. Ihr Sohn war nicht da. Aber dieser junge Mann. Ehemals Claes, jetzt Nicholas. Hilfe in einer persönlichen Angelegenheit? Gregorio d’Asti, der bereits viele Verträge, viele Nachlaßregelungen, viele Willenserklärungen dieser oder jener Art beurkundet hatte, wartete in aller Ruhe ab. Sein Blick wanderte von dem jungen Mann zu einem Punkt unterhalb des Gürtels seiner Arbeitgeberin. Der Altersunterschied machte es unwahrscheinlich, aber man konnte nie wissen. Oder war dieser Nicholas ein unehelicher Sohn und kürzlich anerkannt worden?
»Ich werde gern alles tun, was ich kann«, erklärte Gregorio förmlich. Er bemerkte, daß der junge Mann die Frau erneut anlächelte und ihre Nervosität unerwartet in unwillige Heiterkeit umschlug.
»Es handelt sich nicht um Schwangerschaft oder Adoption. Claes, der sich von jetzt an seines vollständigen Namens Nicholas bedienen wird, ist der uneheliche Sohn einer entfernten Verwandten. Das ist unanfechtbar verbürgt. Seit seiner Kindheit wurde er in diesem Haus ausgebildet, natürlich in dienender Stellung, und er kennt das Geschäft von Grund auf. Er ist auch, und das müßt Ihr mir glauben, ein junger Mann von ungewöhnlichen Fähigkeiten.«
Gregorio lächelte liebenswürdig. Ein junger Mann von ungewöhnlichem Äußeren war er zweifellos. Diese mondrunden Augen und die vollen, aufgeworfenen Lippen, dazu die breite, niedrige Stirn, das sah man bei geistig Zurückgebliebenen. Über seine Wange zog sich eine Narbe. Immer noch lächelnd, hatte sich der junge Mann wieder seinen Papieren zugewandt. Gregorio sagte anerkennend: »Ich sehe, daß er auf jeden Fall lesen und schreiben kann.«
»Ja. Ihr habt natürlich die Rechnungsbücher geprüft und gelesen, welche Abschlüsse seit Mitte Februar getätigt wurden, und Ihr habt auch die Aktennotizen eingesehen über die von mir geführten Verhandlungen, zu denen Nicholas mich begleitet hat. Ihr müßt wissen, daß all diese Verhandlungen von Nicholas geplant und in die Wege geleitet wurden und er sämtliche Erwerbungen vorgeschlagen, kalkuliert und durchgeführt hat, abgesehen von der amtlichen Vorbereitung der Dokumente und den formalen Verträgen, die ich selbst geschlossen habe. Er ist fähiger als ich, Meester Gregorio. Fähiger als alle meine bisherigen Angestellten. Er möchte beim Haus Charetty bleiben, das er mit unser aller Rat zu einem großen und erfolgreichen Unternehmen zu machen hofft. Aber er besitzt, wie Ihr seht, nicht den Rang, um Macht
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