Niccolòs Aufstieg
daran, dorthin zu gehen. Wenn es in Brügge tatsächlich eine Frau geben sollte, die Meester Julius näher stand als ein Tintenfaß, so hatte Thomas bislang nichts davon gehört.
Was also hatte sich plötzlich verändert? Ein Funke war erloschen, der blitzende Übermut, der ihn zusammen mit Claes und Felix so oft in die Klemme gebracht hatte. Vielleicht fehlten die beiden Burschen ihm. Oder er war eifersüchtig auf Claes in seiner ordentlichen blauen Kuriertracht, der nun von Bankiers empfangen wurde, anstatt von Henning eins hinter die Ohren zu bekommen. Möglich auch, daß er es sich mit Astorre verdorben hatte, das war nicht schwierig, vor allem wenn man kein Soldat war. Vielleicht aber hatte er auch nur Neapel und den Regen satt. Kein Wunder bei einem Mann, der für Frauen nichts übrig hatte. Thomas, der auf der Reise von Brügge nach Neapel alle Frauen auf den Wagen mehrfach genossen hatte, tat der Konsulent leid.
Und der sich selbst. Er hatte in der Tat genug von Neapel und vor allem von der ungehobelten Gesellschaft Syrus de Astariis’, der ihm seit drei Monaten vorführte, wie er seine Leute auf Trab hielt, während er auf das Eintreffen der restlichen Truppe wartete.
Wie der Rest des zusammengewürfelten königlichen Heers hatten Astorres Bogenschützen und Reitersöldner den größten Teil des Winters in Neapel verbracht, bis auf einige Ausfälle, um die seltenen Bewegungen des von Herzog Johann von Kalabrien und dem Orsini, dem Fürsten von Tarent, angeführten Feindes auszukundschaften.
Innerhalb der Mauern blieben sie in Übung, indem sie sich an den hier und dort aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Kampftruppen beteiligten und keiner Rauferei aus dem Weg gingen. Von Zeit zu Zeit wurden sie von den Machthabern der verschiedenen für König Ferrante kämpfenden Heere gezählt. Astorre kümmerte sich nicht um dieses ganze Nebenbei, er achtete nur darauf, seine eigene kleine Truppe in Ordnung zu halten, und da machte er seine Sache wirklich gut. Aber mit dem Verstreichen der Wochen begann Julius die Ankunft Tobias’ herbeizusehnen, der nach Süden hatte ziehen sollen, sobald Bruder Gilles geheilt war, sich aber bislang - seit drei Monaten - keinen Schritt in diese Richtung bewegt hatte Tobias fehlte ihm. Er fehlte ihm, weil er der einzige kultivierte Mensch war, mit dem er über die Familie Charetty sprechen konnte. Die Witwe und Felix. Und den schrecklichen, vielgeprügelten Claes, der eigentlich hier sein sollte, um ihm Gesellschaft zu leisten und auf ihn zu hören. Und mehr aus sich zu machen.
Spät am Abend erst kam Julius dazu, sich in der kleinen Kammer des Hauptmanns mit Thomas und den zwei neuen Leuten, Gottschalk und Abrami, zusammenzusetzen. »Also«, sagte er, »erzählt, was es Neues gibt.«
»Ich dachte mir schon, daß Ihr neugierig seid«, erwiderte Thomas. »Dreihundert Gulden mehr im Monat als vereinbart. Was sagt Ihr dazu?« Julius sah Thomas verständnislos an. »Für die Feuerschützen«, erklärte Thomas und runzelte die Stirn. »Was hattet Ihr denn erwartet? Neunhundert Gulden sind dem Hauptmann in der condotta versprochen worden. Jetzt bieten wir fünfzig ausgebildete Männer mehr. Der Sekretär des Herzogs selbst hat es mir versprochen. Dreihundert Gulden zusätzlich. Wartet nur, wenn der Hauptmann das hört.«
Julius versuchte, auf Thomas einzugehen. »Das wird Astorre freuen. Und die Demoiselle auch. Das sind gute Neuigkeiten. Hast du das alles zusammen mit Meester Tobias ausgehandelt?«
Thomas war großzügig gestimmt und legte ohnehin keinen Wert darauf, als einer zu gelten, der sich mit dem Lesen abgab.
»Mit Hilfe von Meester Gottschalk. Meester Tobias war nicht da.«
Julius sah ihn erstaunt an. »Ist er nicht mehr in Piacenza? Oder Florenz? Ist Bruder Gilles noch in Mailand, Thomas?«
Thomas lachte. »Ihr solltet die Geschichten über den guten Bruder hören. Aber nein, er ist gesund und auf dem Weg nach Florenz oder schon dort, heißt es. Meester Tobias war zwar in Piacenza, er hat uns ja die Faustfeuerwaffen besorgt, aber er hat sich Zeit gelassen. Er soll erst Ende Februar nach Mailand zurückgekommen sein.«
»Und?« fragte Julius scharf.
Thomas lachte wieder. »Und dann ist er wieder weg. Richtung Abruzzen.«
Julius starrte Thomas an. Vor seinem geistigen Auge sah er das Stück der italienischen Westküste, das sich von Rom südwärts nach Neapel erstreckte, wo er jetzt war, um für König Ferrante in den Kampf zu ziehen. Und er sah die
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