Niccolòs Aufstieg
andere, die östliche Küste Italiens, wo sich auf gleicher Höhe das Hochland der Abruzzen befand, ein Gebiet von derzeit großem Interesse. In die Abruzzen nämlich war angeblich Jacopo Piccinino, jetzt im Sold des Herzogs von Kalabrien, mit seinem Heer unterwegs, um es dort mit der Streitmacht des Herzogs zu einem Großangriff auf Neapel zu vereinigen.
»Was sollte Tobias in den Abruzzen wollen?«
Thomas grinste breit. »Das ist kein Geheimnis. Er will zu Hauptmann Lionetto. Bei dem war er doch schon, ehe er zu Astorre gewechselt ist. Ha, wenn das Hauptmann Astorre hört! Da wird’s kein Halten geben. Sie werden ihn in Ketten legen müssen, wenn sie verhindern wollen, daß er gleich auf eigene Faust gegen Piccinino, Lionetto und Tobias auf einmal loszieht.«
Die ganze schlaflose Nacht ging Julius das im Kopf herum. Es hätte ihn eigentlich nicht überraschen sollen. Seit Bologna war er Enttäuschung gewöhnt. Er wußte, daß jeder sich selbst der nächste war und man nicht zuviel erwarten sollte. Tobias kannte er nicht einmal gut. Er hielt ihn für jähzornig, ungeduldig und häufig unduldsam, aber in seinem Tun einigermaßen gerecht und in seinem Urteil genau. Mehr als er selbst es wahrgenommen hatte, verließ er sich auf ihn. Aber er hätte wissen müssen, daß am Ende immer das Geld zählte.
Als Astorre mit seiner kleinen Kampftruppe zurückkehrte, zeigte sich, daß er von Tobias’ Seitenwechsel schon wußte. Er tat die Sache mit ein paar beiläufig hingeworfenen Flüchen ab. Der Verlust des Pferdemeisters hätte ihn mehr beunruhigt. Außerdem hatten sie ja jetzt Gottschalk, der verstand etwas von Heilkunde, oder nicht? Kannte sich aus mit Salben und Wunden. Im Grunde sei doch ein Quacksalber so gut wie der andere.
Es war genau die Reaktion, die man von einem Mann wie Astorre erwarten konnte. Aber für Julius, gewöhnt, die jeweilige Stellung des Spitzbarts und den Schimmer im geflickten Auge zu deuten, schien etwas anderes dahinterzustecken. Er wartete, bis er Astorre für sich allein hatte. »Irgend etwas beunruhigt Euch doch«, sagte er. »Droht ein wirklicher Angriff? Eine Schlacht?«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Astorre. »Herzog Johann hat da draußen eine große Streitmacht, und auf den Festungen rundum sitzen überall kleine Adelige, die Ferrante nicht mögen. Wir sind noch nicht stark genug, um auszubrechen und sie wegzuputzen.«
»Aber können wir uns erlauben zu warten? Die Ostküste herunter rückt Piccinino an. Und es heißt, der König von Frankreich habe in Lyon Truppen zusammengezogen und warte nur darauf, die Alpen zu überqueren, um seinem Vetter, Herzog Johann, zu helfen.«
»Kann sein«, meinte Astorre, »Kann aber auch nicht sein. Ich würde sagen, er hat zur Zeit mit England und Burgund genug zu tun. Da kann er nicht noch ein ganzes Heer nach Italien schicken. Und was den Grafen Piccinino angeht, der muß erst mal das Gebiet südlich der Abruzzen erreichen und dann Italien durchqueren, um zu seinen Freunden hier zu stoßen. Das wird schwieriger werden als er glaubt, vor allem wenn er vom mailändischen Heer gejagt wird. Nein. Auf eine richtige Schlacht werden wir noch eine ganze Weile warten müssen.«
»Dann habt Ihr andere Neuigkeiten?« fragte Julius.
»O ja. Das kann man wohl sagen! Thomas, komm her und setz dich. Meester Julius möchte meine Neuigkeiten hören, und er sollte sie auch hören. Genau wie du. Dann könnt ihr euch entscheiden, ob ihr auch lieber zu Lionetto wechselt wie Tobias. Ich weiß jetzt, warum er es getan hat. Bei Gott, ich weiß es nur zu gut.«
Thomas sah Astorre gespannt an. Ebenso Julius, unfähig, einen Gedanken zu fassen.
»Claes«, sagte Astorre nur.
»Claes?« wiederholte Thomas.
»Ist Claes unter die Spitzel gegangen?« sagte Julius sehr langsam.
»Spitzel!« donnerte Astorre. Männer drehten die Köpfe. Dem Donnern folgte ein Wortschwall. »Kann schon sein. Diesem hinterhältigen Burschen trau ich alles zu. Aber wirklich alles. Thomas, wie würde es dir gefallen, Claes zu dienen? Für ein Trinkgeld zu katzbuckeln? Ihm für ein Paar neue Schuhe zu danken?«
Thomas war verwirrt, und Julius lief rot an. Claes, der gehorsame Kurier, der Bursche mit dem meistgeprügelten Rücken und dem sonnigsten Gemüt in Brügge. Claes, der rechnen konnte wie kaum einer und vielleicht endlich seinen guten Rat beherzigt hatte. »Hat er im Geschäft angefangen? Hat die Demoiselle ihn ins Kontor geholt?«
»Ins Kontor ?« brüllte Astorre. »Heilige
Weitere Kostenlose Bücher