Niccolòs Aufstieg
seine Mutter zu sagen, und dabei wütend wie der Teufel wegen Claes. Nicholas. Lieber Gott, wie sollte einer daran denken, jemanden so zu titulieren, dem man erst vor zwei Monaten beim Würfeln das Strumpfband einer Frau abgeknöpft hatte?
Er hatte seine Mutter in Dijon also verfehlt, und sie hatten bis nach Genf reiten müssen. Warum, war nicht schwer zu erraten. Die Alte wollte ihren jungen Ehemann vorführen, und der Jongeheer wollte ihr den Spaß verderben. Danach sah es jedenfalls aus, so wie man Felix kannte. Eigentlich kein übler Bursche. Ab und zu konnte er einem sogar leid tun. Wenn er nicht gerade mit der Peitsche auf einen losging.
Es war Mitte Mai, Zeit der Lämmer und des frischen Grüns, blühender Obstgärten, rauschender Flüsse und tiefer Wälder voll geschäftigen Lebens. Felix sah nichts davon. Er schlief in den Gasthöfen, die seine Leute ihm suchten, zückte regelmäßig die Börse, um Geld für Unterkunft und Verpflegung, Zölle und Almosen zu geben, und dachte an seine Mutter und Claes. Nicholas. In Genf angekommen, machte er sich auf die Suche nach Haus, Hof, Lagerhäusern und Stallungen Jaak de Fleurys, dessen Nichte einem Knecht den Sohn Claes geboren hatte.
Felix hatte Jaak de Fleury und seine Ehefrau Esota nie kennengelernt, denen Claes als Kind hatte dienen müssen. Und denen er sich jetzt wahrscheinlich in allem Pomp, der für das Geld der Charettys zu bekommen war, zeigen wollte. Nicht mehr Claes, sondern Nicholas, Ehemann der Inhaberin des Unternehmens Charetty und reich.
Denn es war alles ganz anders gekommen, als Felix sich das an jenem Tag im Schreibzimmer seiner Mutter vorgestellt hatte, an dem er sich einverstanden erklärte, Nicholas in den Kreis der Familie aufzunehmen. Nicholas war kein Teil der Familie geworden, er war ihr Oberhaupt. Er war nicht der Freund seiner Mutter, er war ihr Herr. Nicholas, sein Diener, der seine Mutter so behext hatte, daß sie ihren eigenen Sohn bat, zurückzutreten und Nicholas die für sein Leben entscheidende Möglichkeit einzuräumen. Die Möglichkeit, sich vor den Verwandten der Familie im Glanz seines Triumphs zu sonnen. Das ist meine Ehefrau. Das ist ihr Sohn Felix. Aber achtet nicht auf ihn. Das Unternehmen leite jetzt ich.
Von Cristoffels hatte er von dieser Reise seiner Mutter gehört und war im ersten Augenblick so fassungslos gewesen, daß er nicht gewußt hatte, was tun. Jetzt aber weinte er, wenn überhaupt, höchstens noch aus Zorn. Er versuchte, seine Gedanken zu zügeln, ehe sie diese Bahn einschlugen. Ein Kaufmann zeigt keine Gefühle. Nur so macht er gute Geschäfte. Nur so schlägt er Rivalen aus dem Feld.
Als das Haus gefunden war, wollte der Pförtner sie nicht einlassen. Felix mußte selbst eingreifen und seine ganze Autorität geltend machen. Jaak de Fleury mochte sich für einen großen Kaufmann und Geldhändler halten, aber er bezog Tuche von Charetty, er kaufte und verkaufte genau wie das Haus Charetty. Und Felix’ Mutter war seine Schwägerin. Auch wenn ihm diese Verwandtschaft offenbar nichts bedeutete und Felix de Charetty seinerseits keine Zugeständnisse wünschte.
Den Erben des Hauses Charetty ließ man ohne Widerrede ein. Es sei denn, seine Mutter und Nicholas waren schon drinnen. Es sei denn, Nicholas steckte hinter der Verzögerung oder gar Ablehnung.
Nein, endlich kam jemand. Ein großgewachsener Mann in einem langen Brokatmantel mit herabfallenden Ärmeln über einem hochgeschlossenen Wams aus gemusterter Seide, auf dem Kopf einen dekorativ drapierten Hut, größer als seiner und doppelt so teuer. Um die Schultern trug er eine goldene Kette und viel dezenten Schmuck. Auf seinen gewölbten Wangenknochen glänzte das Licht. Die Augen jedoch, groß und dunkel und mit dichten Wimpern, glänzten nicht einmal bei dem flüchtigen Lächeln, das prachtvolle Zähne sehen ließ.
»Man hat mir gemeldet«, sagte Jaak de Fleury, »daß ein junger Verwandter am Tor wartet. Ich habe mich unverzüglich auf den Weg gemacht. Die Geschäfte drängen. Auf meinem Schreibtisch häuft sich die Arbeit. In einer Stunde erwarte ich Besuch und habe noch viele Briefe zu schreiben. Aber bei diesen Worten habe ich mir die Zeit genommen. Ein junger Verwandter, der mich zu sprechen wünscht. Ich nehme an, das seid Ihr?«
Felix war fasziniert von den prachtvollen Zähnen. »Ja.«
Jaak de Fleury lächelte ein zweites Mal, mit einem Anflug von Verdrießlichkeit. »Ja«, wiederholte er in aufmunterndem Ton. »Gestattet mir, daß ich
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