Niccolòs Aufstieg
schon für die Reise gepackten Satteltaschen und ein einzelner Wagen, vollgepackt mit Stoffballen für Jaak de Fleury (von deren Auslieferung allerdings dringend abgeraten worden war).
Zurückgelassen hatte er die Kisten und Koffer, die Marian de Charetty für diese Reise vorbereitet hatte und die jetzt alles enthielten, was sie an Kleidern und Schmuckstücken noch besaß. Denn es kam nun nicht in Frage, daß sie mitfuhr. Sie und Gregorio hatten zuerst angenommen, daß auch er nicht reisen würde. In dieser längsten Nacht ihres Lebens gab es keine Möglichkeit, darüber nachzudenken. Überaus gastfreundlich nahmen Leute ihre obdachlosen Dienstboten und Arbeiter auf. Einer der Bürgermeister kam, die Nachtmütze auf dem Kopf, und brachte die städtischen Ärzte mit, die sich um die Leute mit Brandwunden kümmerten. Wachen wurden rings um das Haus aufgestellt, in dem das Feuer noch schwelte, um alles zu schützen, was eine Bergung nach Abkühlung der Trümmer lohnte. Winrik, der Geldwechsler, holte seine Freunde und bezog mit ihnen dort Posten, wo sich irgendwo unter dem Schutt ein Haufen geschmolzenen Silbers befand aus der Truhe, in der die Demoiselle ihre Silbermünzen aufbewahrt hatte. Morgen würde das Münzamt seine Beamten herschicken, und dann würde sie vielleicht einen Teil des Wertes erstattet bekommen. Das übrige, Schuldscheine und Bürgschaften, all das war verloren, ebenso das gesamte Inventar der Färberei, abgesehen von ein oder zwei Säcken wertvollster Farbstoffe, die Henning selbst hinausgeschleppt hatte.
Im Morgengrauen hatten sich die Demoiselle, Nicholas und Gregorio, verrußt und erschöpft, in der wie durch ein Wunder vorhandenen, wenn auch unbezahlten Zufluchtsstätte in der Spanjaardstraat an einen saubergescheuerten Tisch gesetzt, Suppe gegessen und geredet. Es war nicht sehr vernünftig, aber da sie zum Schlafen zu müde war, hatte Marian de Charetty ihre schlimmsten Ängste dadurch zu vertreiben gesucht, daß sie Pläne machte, solange noch Männer da waren, die ihr bereitwillig zuhörten und ihr helfen würden.
Gregorio, wachgehalten durch ihre seltsame Beziehung, beobachtete, wie Nicholas für die Demoiselle Entschlüsse faßte. Bis zur Handelsmesse im Mai waren es weniger als zwei Wochen, aber da konnte man sich schon noch etwas einfallen lassen. Die Niederlassung in Löwen würde ihnen einige Waren liefern, die sie verkaufen konnten. Die Zunft würde sie mit einem Einkaufskredit unterstützen und höchstwahrscheinlich auch mit einer Art Grundstücksbeteiligung. Die Spanjaardstraat und das andere Grundstück, das Nicholas gekauft hatte, waren für die Färberei nicht geeignet. Aber die Spanjaardstraat würde zunächst ihr Zuhause werden und weitere Geschäftsräume aufnehmen müssen, und soweit die anderen Häuser nicht schon vermietet waren konnten einige der Arbeiter dort untergebracht werden. Vielleicht auch in Felix’ Weinschenke. Die übrigen konnten nach Löwen versetzt werden.
Die Niederlassung in Löwen würde jetzt also nicht verkleinert, sondern unter Cristoffels Leitung weitergeführt. Das weitläufige Gelände in Brügge mit seinen zahlreichen Geschäftszweigen zu ersetzen lohnte sich nicht. Sie sollten sich um hochwertige Arbeit bemühen auf dem Gebiet des Färbens, des Handels und der Pfandleihe. Besser färben als Florenz. Wertvolle Pfänder annehmen, die eine sichere, aber keine raumintensive Lagerung erforderten. Darlehen zu hohen Zinsen und zugunsten verborgener Interessen.
Das war es, was Nicholas vorschwebte, wie Gregorio schon lange vor dem Brand gewußt hatte. »Ihr redet vom Geldgeschäft in Verbindung mit Luxushandel. Dagegen habe ich nichts. Aber woher soll das Geld kommen, um all das jetzt aufzubauen? Ihr habt viele Leute zu ernähren. Ihr habt Schulden für dieses und andere Gebäude, Tuche von Kunden sind verbrannt, die Leute werden Entschädigung verlangen, und auch für Euer eigenes Tuch, das auf Kredit geliefert wurde. Eure beschlagnahmten Pfänder sind nicht mehr vorhanden, und das bedeutet, daß jedes Darlehen ein Verlustgeschäft ist; und jene, die ihre Waren zurückhaben wollen, werden Forderungen stellen. Ihr habt Waffen auf Kredit gekauft. Die Kosten für die Söldnertruppe, die noch ausstehen, werden womöglich höher sein als das, was sie einbringt. Wenn Euer Hauptmann gefangengenommen wird oder Eure Soldaten eine schwere Niederlage erleiden, werdet Ihr vielleicht hohes Lösegeld zahlen oder Schadenersatz leisten müssen. Ihr werdet unter
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