Niccolòs Aufstieg
überrascht. Bei näherer Überlegung verstand er ihn. Katelina van Borselen sehnte sich nach gebildeter Gesellschaft, nach Umworbenwerden und gewandtem Liebesgetändel.
Er präsentierte sich an jenem ersten Abend in der Bretagne in seinem feinsten Wams, nach französischer Mode taillenkurz, so daß unter der hautengen Seide der zweifarbigen Hose, deren Beine vom Knie bis zum Schenkel mit einer Rosengirlande bestickt waren, der elegante Hosenbeutel und der feste Hintern zur Geltung kamen. Es war, als hätten reuige Engel einzig für ihn den erniedrigenden Auftritt im rauchverhangenen Garten neu inszeniert. Was ihm in Brügge verwehrt worden war, wurde ihm in dieser ersten Nacht in der Bretagne mit vollen Händen gegeben. Im Beisammensein nach dem Abendessen hatte er Katelinas Glas immer wieder gefüllt und sie mit den unsichtbaren Liebkosungen seiner Stimme, den Schwingungen des Begehrens in seinen geflüsterten Worten verführt, bis er gespürt hatte, daß der Augenblick nahe war.
Die Herzogin hatte nichts dagegen gehabt, daß er Katelina in den lauen, mondbeschienenen Garten führte. Diesmal gewahrte er schon, als er die Treppe hinunterging, köstliches Drängen in Katelinas bebenden Fingern, und im letzten Lichtschimmer aus den Fenstern des Hauses konnte er in ihren Zügen Begierde erkennen. Dann waren sie allein in der Laube, und niemand beherrschte besser als Simon von Kilmirren die Kunst, Begierde zu Qualen der Ekstase aufzupeitschen.
Zwei Wochen später fürchtete sie, sie könnte schwanger sein. Halb widerwillig erhörte er ihre ängstlichen Bitten und heiratete sie. Nur halb widerwillig, weil er schon da nicht genug von ihr bekommen konnte. Als sich der Verdacht der Schwangerschaft später bestätigte, war er wunschlos glücklich.
Es war ihm gleich, ob jemand sah, daß er Katelina van Borselen schon vor der Hochzeit geschwängert hatte. Ein Kind jedes Jahr würde er mit ihr zeugen. Tag und Nacht würde er ihr Grund für ein Kind geben. Ihr widmete er jetzt seine Zeit.
Die schwarz ausgeschlagene Liebfrauenkirche hatte sich schon gefüllt, als sie dort ankamen. Nur die Hauptpersonen fehlten noch. Die Abgesandten des Herzogs warteten am Portal auf die Gruppe aus dem Hause de Veere. Jenes Herzogs, dessen Nichte Marie von Geldern jetzt die Königinwitwe von Schottland war.
Ganz vorn ging Prinzessin Mary, geleitet von ihrem Schwiegervater Henry van Borselen, Comte de Grandpré, Seigneur de Veere, Vlissingen, Westkapelle und Domburg mit seiner Frau Jeanne de Halewyn. Ihnen folgten der Ehemann der Prinzessin, Wolfaert van Borselen, und der schottische Bischof Kennedy. Zwischen Wolfaert und dem Bischof gingen die zwei Kinder: Alexander, Herzog von Albany, der mittlere Sohn des verstorbenen schottischen Königs, und Charles van Borselen, sein neun Jahre alter Cousin.
Alexander, Herzog von Albany und Großadmiral von Schottland, war erst sechs Jahre alt. Unter der Obhut von Bischof Kennedy, dem Cousin seines Vaters, war er in diesem Sommer nach Brügge gekommen, um am burgundischen Hof erzogen zu werden. Nun war sein Vater tot, aber niemand hatte ihn nach Hause gebracht. Bischof Kennedy, von einer Erkrankung festgehalten war immer noch an seiner Seite: gewandter Botschafter und wendiger Diplomat, der über die Reaktion der Burgunder auf die neue schottische Führung in all ihren Nuancen berichtete.
Vielleicht wollte der Kleine im dunklen, juwelenbesetzten Wams und in der Schottenmütze gar nicht nach Hause. Er wirkte mürrisch und gereizt, wie er da an der Seite seines Verwandten ging. Die Schotten unter den Gästen musterten ihn und den Bischof und machten sich ihre Gedanken. Auch Simon von Kilmirren und seine Frau, die hinter den anderen gingen. Man hätte nicht vermutet, daß die beiden fünfzehn Jahre trennten. Durch die Ehe gereift, sah Katelina älter als zwanzig aus. Und er hatte sich seine Eleganz und den goldenen Glanz der Jugend erhalten.
Politik war wichtig. Aber als Simon mit seiner Frau den Mittelgang der Kirche hinunterschritt, dachte er kaum an den toten König. Er bemerkte, wie die Leute sie anstarrten, Katelina, schön selbst unter dem Schleier, und ihn, in schwarzem Samt mit grauen Bändern, den mit Hahnenfedern gezierten Hut in der Hand.
Der Gottesdienst war lang und die Musik einschläfernd, aber danach würde man sich im imposanten Haus Ludwig von Gruuthuses und seiner Frau, Wolfaerts Schwester, treffen. Simon freute sich darauf, dem Adel von Brügge seine Katelina vorzustellen. Es war
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