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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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Spiegels eine Karte klebt, und darauf steht der Name Glynis R . Das
müsste dann doch diese Glynis sein, oder?«
    Schweigen.
    »Ja. Ich glaube schon. Jedenfalls dachte ich das, als du es mir
erzählt hast. Glynis Mercer hatte in die Familie Ruelle eingeheiratet. Die
Ruelles besaßen südlich von Gracie ausgedehnte Ländereien. Sie haben Clara
aufgenommen und getan, was sie konnten. Aber dann traten die üblichen
wohlmeinenden Menschen auf den Plan, und irgendwo beschloss irgendjemand, dass
sie eine Gefahr für sich selbst und ihre Umwelt darstellte. 1935 war dieser
Brand im Rathaus, und darum sind die Unterlagen nicht vollständig, aber wie es
aussieht, sind ein paar von der Gesundheitsbehörde gekommen und haben sie den
Ruelles gewaltsam weggenommen und in diese Irrenanstalt in Gracie gebracht.«
    »Um Gottes willen. Nach Candleford House?«
    »Ja. Leider.«
    »Ach Gott. Die arme Frau. Wie lange hat sie dort leben müssen?«
    »Das weiß niemand. Nach den spärlichen Unterlagen, die das Feuer
überstanden haben, ist 1931 irgendetwas Gravierendes passiert. Sie ist in
Begleitung nach Niceville gefahren worden, weil sie operiert werden musste. Man
brachte sie ins Lady Grace, wo höchstwahrscheinlich eine Abtreibung vorgenommen
wurde.«
    »Das heißt, sie war vergewaltigt worden?«
    »Wahrscheinlich. Die Aufseher in Candleford House waren ja kaum
besser als Tiere. Nein, schlimmer. Jedenfalls, während sie sich von dem
Eingriff erholte, konnte sie aus dem Krankenhaus fliehen. Drei Tage später fand
man ihr Kleid und ihre Schuhe am Crater Sink. Sie selbst blieb verschwunden.«
    Schweigen.
    »Aber wie hängt diese Geschichte mit den anderen Fällen zusammen?«
    »Erst nach Claras Flucht aus dem Lady Grace begannen Leute zu
verschwinden. Alle hatten Clara Mercer auf die eine oder andere Art beleidigt:
Entweder gehörten sie irgendwie zu den Teagues oder zu denen, die zugelassen
hatten, dass sie gegen ihren Willen nach Candleford House gebracht worden war.«
    »Dad, du bist Historiker, kein Autor von viktorianischen
Schauerromanen. Diese ganze Sache ist … verrückt.«
    »Da gebe ich dir völlig recht. Aber das sind die Tatsachen, auf die
ich gestoßen bin.«
    »Hast du mal mit Nick darüber gesprochen?«
    »Ja. Er hat es mir aus der Nase gezogen wie du jetzt. Er kennt nicht
alle Einzelheiten, aber die Grundzüge der Geschichte.«
    »Wann?«
    »Vor etwa einem Monat.«
    »Und was hat er dazu gesagt?«
    »Dasselbe wie du. Er fand die ganze Geschichte verrückt.«
    »Aber er hat sie sich angehört?«
    »Kate, er war dabei, als sie Rainey Teague aus Ethan Ruelles Gruft
geborgen haben. Es gefällt dir vielleicht nicht – mir gefällt es übrigens auch
nicht –, aber dass es da eine Art Muster gibt, ist nicht zu leugnen.«
    Sie
benutzt die Spiegel .
    Vor ihrem inneren Auge sah sie die Schrift auf der Büttenkarte:

    »Sie benutzt die Spiegel. Das war es doch, was Mom gesagt
hat?«
    »Ja.«
    »Was glaubst du, wer mit ›sie‹ gemeint ist? Glynis?«
    »Glynis Ruelle ist tot und begraben.«
    »Nick hat mir nichts davon erzählt.«
    »Das hatte ich auch nicht angenommen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil du eine Walker bist. Du gehörst zu einer der Familien.«
    »Du meinst, er befürchtet, dass mir irgendjemand nachstellt?«
    »So könnte man sagen.«
    »Dieselbe Person, die auch den anderen Mitgliedern dieser Familien
nachstellt? Glaubst du das wirklich?«
    Ein langes Schweigen.
    »Ich frage mich. Das ist alles.«
    »Dad. Denk mal nach. Du sagst, dass in Niceville seit den späten
zwanziger Jahren Leute verschwinden. Wie sollte eine einzige Person dafür
verantwortlich sein? Die müsste dann ja über –«
    »Grob geschätzt müsste sie hundert Jahre alt sein. Vielleicht auch
älter.«
    »Aber das ist unmöglich. Glaubst du das wirklich?«
    »Nein. Natürlich nicht. Aber es lässt mich nicht los. Du hast mich
gefragt, was mit Niceville nicht stimmt. Ich gebe zu, es klingt absurd. Wenn
wirklich ein einziger Mensch dahintersteckt, dann ist es wahrscheinlich ein
Nachkomme, ein Verwandter von Clara Mercer, der von einer Obsession getrieben
wird. Aber Tatsache ist, dass Clara Mercers Leichnam nie gefunden wurde.«
    »Nichts, was im Crater Sink verschwindet, kehrt je wieder zurück.
Das weiß jeder.«
    Sie schüttelte den Kopf und wedelte das alles mit der flachen Hand
fort – eine Geste, die ihr Vater nicht sehen konnte, wohl aber spürte.
    »Und das ist es also, was mit Niceville nicht stimmt?«
    »Vielleicht ist irgendetwas

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