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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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Scheiß. Steif ging er den Rest des
Weges zu seinem Pick-up. Seine Rippen schmerzten, die Wunde pochte.
    Er ließ den Wagen an, legte eine CD von
Caro Emerald ein und kurbelte das Fenster herunter. Dann steckte er sich eine
Zigarette an und spülte zwei Oxycodon und eine von Donnys Heparinkapseln mit
etwas Weißwein hinunter. Er schluckte, zog an der Zigarette, stellte die Musik
lauter und rumpelte davon in die Dunkelheit.
    Als der Wagen sich langsam der Straßenecke näherte und vor dem
Stoppschild bremste, spiegelte sich das rote Bremslicht in Cokers blassbraunen
Augen: Zwei winzige rote Pünktchen flackerten auf seinen Iriden, als er am
Fenster stand, eine Camel rauchte und Charlie Danziger nachsah, der links abbog
und verschwand.

Merle Zane bringt es zu Ende
    Glynis weckte Merle um Mitternacht. Er fuhr derart heftig
aus einem Alptraum, dass er sich beinahe das Genick gebrochen hätte. Er war in
seinem Dachzimmer, lag auf dem Bett und schwitzte. Vor dem Fenster schob sich
der Mond durch ein Feld voller Sterne. Zikaden sirrten, und hinter der Scheune
brummte der Generator. Glynis war nackt und stand am Fußende des Bettes.
    »Es ist Zeit, John«, sagte sie.
    Merle streckte die Hände nach ihr aus, und sie sank sanft in seine
Arme. Danach, im Frieden, in der Stille, sah sie ihn an und fragte ihn, ob er
das, was er bei Sonnenaufgang tun werde, unter einem anderen Namen tun würde.
Er strich ihr über die Wange.
    »Ja. Wenn du es willst. Unter welchem Namen?«
    »Wenn du da bist, wenn du es schaffst, dann sag ihm, dein Name sei
John.«
    »John? Dein Mann?«
    »Ja. Sein Name war John. Kannst du das tun?«
    »Natürlich«, sagte er und zog sie an sich.
    Früh am Morgen kleideten sie sich schweigend an, tranken in der
Küche einen Becher Cowboykaffee und rauchten eine Zigarette, und dann
begleitete sie ihn zum Tor am Belfair Pike, wo sie für eine Weile Jupiter
zusahen, der über die taunasse Wiese galoppierte und die Erde unter ihren Füßen
erzittern ließ.
    Der Blue Bird Bus wartete bereits am Tor. Der Motor lief im
Leerlauf, der alte schwarze Fahrer lehnte an der Tür und rauchte eine
selbstgedrehte Zigarette.
    Glynis gab Merle die Umhängetasche, die schwer war von dem Colt und
den Reservemagazinen, küsste ihn, diesmal mit Leidenschaft, und barg dann ihr
Gesicht an seinem Hals. Schließlich riss sie sich los und ging auf der
Zufahrtsstraße in Richtung Haus.
    Jupiter wieherte vom jenseitigen Ende der Koppel und schüttelte den
riesigen Kopf. Auf halbem Weg zum Haus drehte Glynis sich um und winkte, doch
Merle stieg bereits in den Bus und sah sie nicht. Als er sich auf einen Platz
setzte, war sie im Schatten der Eichen verschwunden.
    »Niceville?«, fragte der alte Mann und legte den Gang ein.
    »Nein. Heute nicht. Fahren Sie über Sallytown?«
    Der alte Mann nickte in Richtung Haus.
    »Mrs Ruelle hat uns für den ganzen Tag gemietet, mich und den Blue
Bird. Ich fahr Sie bis runter nach New Orleans, wenn Sie wollen. Wollen Sie?
Na, wie wär’s? Wir hauen richtig auf den Putz und lassen uns von der Polizei
zurückchauffieren.«
    Merle lächelte.
    »Ich wollte, das könnte ich. Vielleicht nächste Woche. Im Augenblick
will ich nur nach Sallytown.«
    »Zu irgendeinem bestimmten Ort in Sallytown?«
    »Zum Palliativpflegeheim Gilead. Kennen Sie das?«
    »O ja, das kenne ich«, sagte der Alte, mehr zu sich selbst als zu
Merle, und dann schwieg er einige Kilometer lang. Nach einer Weile verließ der
Belfair Pike den Wald und wand sich durch das gewellte Grasland nördlich der
Belfair-Hügel.
    Die aufgehende Sonne war eine schmale Klinge aus hellrotem Feuer
über den Hügeln im Osten, als der alte Mann wieder den Mund aufmachte.
    »Ich glaube, ich weiß gar nicht, wie Sie heißen, Sir.«
    »Mein Name ist John Ruelle.«
    »Mrs Ruelles Mann?«
    »Ja.«
    »Gut, dass Sie wieder da sind, Mr Ruelle. Mrs Ruelle ist eine sehr
tüchtige Lady. Diese Farm, das ist harte Arbeit, und dass sie sie ganz allein
führt, seit Mr Ethan von diesem Haggard erschossen worden ist … Na ja, die
Leute bewundern ihren Mut. Sie ist wie diese Königin Penelope, deren Mann
fortgehen und Troja belagern musste. Sie ist schon ziemlich lange allein. Seit
dem Krieg. Ich bin froh, dass Sie gesund zurückgekommen sind.«
    »Danke.«
    Der Fahrer schüttelte den Kopf.
    »Mein Sohn ist da drüben gefallen.«
    »Das tut mir leid.«
    »Ein blöder Scheißkrieg, nehmen Sie’s mir nicht übel, Sir.«
    »Ich nehme es Ihnen nicht übel.«
    »Meinen Sohn haben sie

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