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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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gelb,
und der Frühlingsgeruch nach Erde, gemähtem Rasen und frischer Morgenluft
verwandelte sich in einen brackigen Gestank nach Schwefel, Ammoniak und halb
begrabenen toten Wesen.
    Das niedrige Gebäude schien sich noch tiefer in die grüne Landschaft
zu ducken, so dass es noch abgeschlossener wirkte, der normalen Welt noch
entrückter, wie ein Tier, das sich weiter in seine Höhle zurückzieht. Die
Eichen wurden größer und schwärzer, ihre Äste knarrten wie alte Knochen, und
die Blätter raschelten, als wären sie lebendig.
    Eine geradezu greifbare Atmosphäre von Bösartigkeit und Hass schien
die Luft über ihnen zu erfüllen und sich schlangengleich um sie zu legen. Sie
standen schweigend da. Das kühle Licht in den Fenstern des Heims war erloschen,
die schmalen Fenster waren schwarz und verschlossen.
    Der leise Gesang der Vögel verstummte abrupt, der Hund bellte nicht
mehr, die leichte Morgenbrise erstarb zu einem leisen Wispern, das aus der Erde
unter ihren Stiefeln zu kommen schien.
    Wo immer sie eben noch gewesen waren – jetzt waren sie nicht mehr
dort. Merle ging einige Schritte auf das Gebäude zu, blieb stehen und drehte
sich zu Albert um.
    »Haben wir das wirklich gesehen?«, fragte Albert.
    »Ja«, sagte Merle mit gepresster Stimme und schluckte. »Alles hat
sich verändert.«
    »Ja. Aber wie?«
    Merle schluckte abermals.
    »Ich weiß es nicht.«
    Zwei Gestalten mit Schrotflinten, große schwarze Schatten,
kamen aus dem Nebel auf sie zu.
    »Da sind noch mehr«, sagte Albert. »Vielleicht sollten wir lieber
wieder einsteigen. Hier stimmt was nicht.«
    »Ja«, sagte Merle. »Aber wir müssen es so oder so zu Ende bringen.
Ich könnte es verstehen, wenn Sie im Bus warten wollen. Aber fahren Sie erst
weg, wenn alles vorbei ist.«
    Albert Lee schüttelte den Kopf.
    »Wenn Sie bleiben, bleibe ich auch. Haben wir einen Plan?«
    »Der Plan ist, uns nicht erschießen zu lassen.«
    Albert richtete sich auf, zog seine Jacke zurecht, atmete tief durch
und lächelte schief.
    »Guter Plan.«
    Sie schritten langsam und mit einigem Abstand zueinander auf das
Haus zu und zogen den Kopf ein, als sie unter einer Trauerweide hindurchgingen.
Merle hatte die Pistole in der locker hängenden rechten Hand, Albert hielt den
Revolver in der leicht erhobenen Linken. Sie standen mindestens vier Männern
gegenüber: den beiden auf der Zufahrt und den beiden, die an der Tür des
Gebäudes warteten.
    Einer der Männer mit den blauen Hemden drehte sich um, ging ins Haus
und ließ die Tür offen stehen. Der andere, der älter war und mit seinem grau
melierten Schnurrbart wie ein Kleinstadtsheriff aussah, trat durch das Tor und
baute sich ein paar Meter vor den anderen beiden Männern mitten auf der Zufahrt
auf. Seine große rechte Hand hing locker herab und hielt eine doppelläufige
Schrotflinte.
    »Was wollt ihr?«
    »Wir wollen zu Abel Teague«, sagte Merle und trat noch einen Schritt
vor. Er spürte, dass Albert ein Stück weiter nach links ging. Je nach Munition
und Bohrung hatte eine Schrotflinte auf fünf Meter Entfernung eine Streuung von
einem Meter.
    Der Mann runzelte die Stirn.
    »Leute wie euch empfängt er nicht. Nie. Habt ihr das Schild nicht
gesehen?«
    »Leute wie uns?«, sagte Merle. »Was sind Leute wie wir?«
    Die Augen des Mannes gingen von Merle zu Albert und wieder zurück.
    »Ihr wisst, was ihr seid.«
    »Was sind wir denn?«
    Das Gesicht des Mannes schien plötzlich einer anderen Welt zu
entstammen.
    »Kopfgeldjäger. Sie schickt euch.«
    »Und wer schickt euch?«
    Die Frage schien den Mann zu verwirren.
    »Wir gehören zu ihm.«
    »Zu Abel Teague?«
    »Ja. Wir gehören zu Mr Teague.«
    »Und was seid ihr?«
    In den Augen des Mannes veränderte sich etwas. Ein kaltes Licht
glomm in ihnen.
    »Wir sind hier. Wir leben hier. Wir gehen nirgendwo anders hin. Es
gibt nichts anderes. Wir leben hier und kümmern uns um Mr Teague. Wir tun seine
Arbeit.«
    Albert sagte mit bebender Stimme: »John, ich glaube, wir sollten
nicht mehr mit dem Mann reden.«
    Der Mann wandte den Kopf, als Albert das sagte, und seine
Gesichtszüge schienen dabei zu flackern und zu wabern.
    Ein langes Schweigen trat ein.
    »Albert, sind Sie noch dabei?«
    »Ja.«
    Merle trat noch einen Schritt vor. Er stellte sich breitbeinig hin.
    »Wir wollen zu Abel Teague«, sagte er und spürte, wie Wut in ihm
aufstieg. »Geht aus dem Weg und lasst uns durch.«
    Der Mann starrte Merle kurz an – seine Augen veränderten sich noch
immer –, dann hob

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