Niceville
aber da weder Alaska noch Hawaii sich schriftlich
beschwert hatten, hing sie noch immer über Richter Monroes grauem, borstigem
Kopf.
Er nickte den acht Anwesenden knapp zu: dem unglücklichen Expaar an
den separaten Tischen, den Anwälten, dem Protokollführer, dem Gerichtsdiener
und zuletzt dem vertrauten älteren Paar im Zuschauerraum. Das waren Dwayne und
Dora Fogarty, beide pensionierte Gerichtsdiener, kinderlos, freundlich und bei
allen beliebt. Sie glichen einander wie hermaphroditische Kröten, und sie
verfolgten beinahe jeden Prozess, ob groß oder klein, wie ehemalige Rennpferde,
die es immer wieder zur Rennbahn zieht.
Richter Monroes Nickelbrille funkelte im Licht der
Spätnachmittagssonne, das durch die westlichen Fenster fiel. Er nahm die
Papiere, stieß den Stapel auf Kante, richtete ihn akkurat auf dem Tisch aus und
legte die blau geäderten Hände darauf.
»Kate, äh, Miss Kavanaugh, wollen Sie noch etwas sagen, bevor ich
meine Entscheidung bekanntgebe?«
Wenn Ted Monroe eine Verhandlung führte, unterdrückte er aus
professionellen Gründen seine Sympathien für Kate Kavanaugh, die seine Kanzlei
übernommen hatte, als er zum Richter gewählt worden war. Vor vielen Jahren
hatten er und Kates Vater Dillon an der University of Virginia studiert, und er
hatte Kate von einem langbeinigen Füllen mit dunkler Mähne und wachen blauen
Augen zu dieser selbstbewussten, energischen jungen Anwältin heranwachsen
sehen, die jetzt vor ihm stand. Vor zwei Jahren hatte sie einen ehemaligen
Offizier der Special Forces geheiratet, den sie während ihres Jurastudiums in
Washington, D. C., kennengelernt hatte, und damit mindestens drei jungen
Männern aus Niceville das Herz gebrochen.
Monroe hatte sich gefragt, ob Nick die richtige Wahl war – laut Tig
Sutter war seine Welt noch immer die der verdeckten Kommandoaktionen –, aber
nachdem es Tig gelungen war, ihn zu überreden, seine Karriere nicht in der
Militärgerichtsbarkeit, sondern beim CID fortzusetzen, hatte Nick sich ohne große Schwierigkeiten in der kleinen Welt
von Niceville zurechtgefunden und stand in dem Ruf, ein harter, aber fairer
Polizist zu sein. Ted Monroe, der ihm einige Male bei Gericht und anderswo
begegnet war, hatte das Gefühl, dass etwas tief Verborgenes an diesem Mann
nagte, was nach seiner Erfahrung allerdings auf die meisten Menschen zutraf,
die ein kompliziertes Leben geführt hatten.
Ted Monroe saß auf seinem Ledersessel, betrachtete das Bild, das
sich ihm bot, und hatte den Eindruck, dass Kate Kavanaugh eine glückliche junge
Frau war, die dort war, wo sie sein sollte, und tat, wozu sie geboren war.
Kate sah kurz zu ihrer Mandantin, einer schmächtigen, verhärmt
wirkenden jungen Frau mit selbstgefärbtem Haar und einem spitzen, schmalen
Gesicht. Die Frau starrte sie mit großen Augen an, ihre kleinen roten Hände
umklammerten das Ende eines mit blauen Punkten gemusterten Schals. Kate
lächelte ihr beruhigend zu und wandte sich wieder zur Richterempore.
»Danke, Euer Ehren. Miss Dellums möchte darauf hinweisen, dass sie,
sollte das Gericht ihr das alleinige Sorgerecht zusprechen, vorhat, ein
Stellenangebot in Sallytown anzunehmen. Das würde bedeuten, dass sie hundertdreißig
Kilometer von Mr Bock, ihrem Exmann, entfernt leben würde, dessen Beschäftigung
bei den örtlichen Stadtwerken ihn höchstwahrscheinlich daran hindern würde,
ebenfalls umzuziehen. Der Umzug meiner Mandantin könnte also die Entscheidung
des Gerichts in Hinblick auf das väterliche Besuchsrecht beeinflussen.«
»Das Gericht weiß Ihre Gewissenhaftigkeit zu schätzen, Miss
Kavanaugh, ist über diese Entwicklung aber bereits informiert und hat sie
berücksichtigt. Miss Barrow?«, sagte er und wandte sich dem anderen Tisch zu,
wo eine hochgewachsene, breitschultrige Frau in einem gut geschnittenen grauen
Hosenanzug sich erhob. Sie hatte rosige Haut und trug kein Make-up. Ihr
stahlgraues Haar stand ungebärdig ab, und eine Aura von Zerstreutheit und
Unordnung umgab sie wie Zigarettenrauch.
»Danke, Euer Ehren. Ich möchte im Namen meines Mandanten eine
Schlusserklärung abgeben«, sagte sie und wies auf Mr Christian Anthony Bock,
einen kleinen und ziemlich übergewichtigen jungen Mann mit weit
auseinanderstehenden grauen Augen, roten Wangen, vollen und sehr feminin
wirkenden Lippen und stumpfer, mürrischer Miene. Sein Gesicht bildete kein
harmonisches Ganzes, sondern wirkte, als wäre es aus Elementen zusammengesetzt,
die bei der Komposition eines
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